Olympia-Geschichten

Blutbeutel, Zehntelsekunden und ein Wunder

· Online seit 28.01.2022, 06:06 Uhr
Olympische Winterspiele haben zuhauf wundersame Geschichten und Anekdoten hervorgebracht. Von allen zu berichten würde Seiten und Stunden füllen. Hier eine kleine Auswahl.
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An den Olympischen Spielen wird immer wieder Sportgeschichte geschrieben. Es gibt aber auch noch einige andere Geschichten, die sich über die Jahre hinweg ereignet und für Aufsehen gesorgt haben.

Last Man Standing

An den Spielen in Salt Lake City 2002 gab es eine der skurrilsten Szenen der Sportgeschichte zu belachen. Im Final über 1000 Meter wetzten vier Shorttracker Kufe an Kufe um Gold, unter ihnen der japanisch-stämmige amerikanische Held Apolo Anton Ohno. Der fünfte Finalist, der Australier Steven Bradbury, fiel vor der letzten Kurve aus der Medaillenentscheidung und nahm sogar Tempo weg. Dann der Moment: Einer der Siegesanwärter rutschte aus und riss einen weiteren Konkurrenten zu Boden. Zuletzt lagen alle vier neben der Bahn wie vier sauber abgeräumte Kegel.

Bradbury lief unbehelligt an den vier vorbei, weil er gar nicht anders konnte. Er überquerte die Ziellinie als Erster und mit einer entschuldigenden Geste, als wollte er sagen: «Sorry, wenn keiner die Goldmedaille haben will, dann muss ich sie wohl nehmen.» Auf diese Weise bescherte Bradbury seinem Land den ersten Olympiasieg an Winterspielen.

Die Zuschauer waren zuerst perplex, brachen aber bei der Wiederholung auf der Grossleinwand in Gelächter aus. Und sie trösteten sich damit, dass ihr Held Ohno sich von allen Gestrauchelten zuerst aufgerappelt hatte und vor einem Kanadier Silber holte.

Dopingsumpf made in Austria

An den Spielen 2002 und 2006 lieferten Österreichs Ausdauerathleten eine Fortsetzungsgeschichte unrühmlicher Art. Nach den Spielen in Salt Lake City wurden im Quartier der österreichischen Langläufer Blutbeutel und Spritzen gefunden. Es waren stumme Zeugen von Dopingpraktiken. Zwei Athleten wurden gesperrt und der zwielichtige Trainer Walter Mayer für acht Jahre von Olympia ausgeschlossen.

An den Spielen 2006 tauchte Mayer auf - ohne Funktion und als Privatperson, wie der ÖSV und das Nationale Olympische Komitee ÖOC beteuerten. Italiens Justiz misstraute dem. Carabinieri veranstalteten im Quartier der Langläufer und Biathleten eine Razzia. Sie erwischten einen Athleten in flagranti beim Dopen. Sie stellten zahllose Doping-Utensilien und Blutkonserven sicher. Die Biathleten Wolfgang Perner und Wolfgang Rottmann flüchteten durch ein Fenster und fuhren bei Nacht und Nebel heim. Das gleiche gelang dem rechtzeitig gewarnten Walter Mayer ebenfalls.

Die Konfusion in Österreichs Delegation war gross. ÖOC und ÖSV beschuldigten sich gegenseitig. An einer live in alle Welt übertragenen Medienkonferenz wollten ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel und Rennsportdirektor Markus Gandler die Welt beschwichtigen und den Verdacht auf organisiertes Doping von sich weisen. Schröcksnadel formulierte den legendären Satz, der unbeholfen, charmant und ungeheuerlich in einem war: «Austria is a too small country to make good doping.» Österreich sei «zu klein, um gutes Doping zu betreiben.»

Die kleine Chance auf das beste Bild

Der amerikanische Sportfotograf Carl Yarbrough sagt: «Die Abfahrt zu fotografieren ist das Schwierigste überhaupt. Für das wirklich gute Bild hast du nur eine einzige Chance. Du musst sie ergreifen, sonst ist es zu spät.» Aus Lillehammer 1994 wurde Yarbrough zurückgerufen, weil ihm keine guten Bilder gelungen waren.

Für Nagano 1998 nahm er einen Auftrag des renommierten US-Magazins Sports Illustrated an. Für die Männerabfahrt wählte er eine Position weit oben an der Strecke. Seine Position wäre aber zu niedrig gewesen. Deshalb nahm er eine Spanplatte und eine kleine Leiter mit ans Rennen. Die ersten drei Fahrer, unter ihnen der zuerst gestartete Bündner Franco Cavegn, seien «langweilig» gewesen, sagte Yarbrough später in einem Interview. Jeder habe die Rechtskurve perfekt genommen.

Dann kam Hermann Maier mit der Nummer 4, der hohe Favorit auf Gold. Die paar Zehntelsekunden, die seine «Chance» bedeuteten, wurden die besten Zehntelsekunden im Leben des bis dorthin wenig bekannten Fotografen. Dank dem automatischen Auslöser fing er in messerscharfen Bildern ein, wie der Herminator beim vielleicht spektakulärsten und sicher bedeutsamsten Sturz - es war eigentlich ein Flug - quer und hoch in der Luft hing. Den Körper in liegender Position, Beine und Ski in die Höhe gestreckt, die Arme rudernd. Es waren Bilder, die um die Welt gingen. Unvergessliche Bilder, von denen die meisten Berufsfotografen ein Leben lang vergebens träumen. Trotz des Sturzes trat Maier zum Super-G und zum Riesenslalom an. Beide Male gewann er Gold - und wurde zum Herminator.

Miracle on Ice

Ein unvergessliches Ereignis in der Geschichte der Winterspiele fand vor 42 Jahren statt, 1980 in Lake Placid. Mitten im Kalten Krieg trafen am 22. Februar die Eishockey-Mannschaften der Sowjetunion und der USA in der Finalrunde aufeinander. Hier die so gut wie unbesiegbaren, unter professionellen Bedingungen spielenden Staatsamateure der UdSSR, geschult von «Väterchen» Wiktor Tichonow, dort die in einer jungen College-Mannschaft versammelten wahren Amateure.

Der Ausgang des Spiels war eine Sensation. Die Studenten gewannen 4:3 und kreierten das «Miracle on Ice». Zwei Tage später stellten sie mit einem Erfolg gegen Finnland den nicht für möglich gehaltenen Olympiasieg sicher. Die denkwürdigen Ereignisse von Lake Placid wurden in einem Kinofilm verarbeitet, mit Karl Malden in der Rolle des US-Trainers Herb Brooks.

veröffentlicht: 28. Januar 2022 06:06
aktualisiert: 28. Januar 2022 06:06
Quelle: sda

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