«Der Schwingerkönig soll die Besten besiegen»

24.08.2016, 05:37 Uhr
· Online seit 24.08.2016, 05:00 Uhr
Einen Schwingerkönig, der die stärksten Gegner besiegen muss, und attraktive Gänge zwischen jungen und älteren Topschwingern - beides wünscht sich der eidgenössische Technische Leiter Samuel Feller.
René Rödiger
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Der 43-jährige Berner Samuel Feller ist seit Anfang 2014 der oberste technische Verantwortliche im Eidgenössischen Schwingerverband. Am Wochenende wird er in Estavayer erstmals das Einteilungskampfgericht an einem Eidgenössischen Fest präsidieren. Ihm obliegt überdies die allseits mit Spannung erwartete Einteilung des 1. Gangs vom Samstagmorgen.

Samuel Feller war als zweifacher Eidgenosse (1992 und 1998) selbst ein erfolgreicher Schwinger. Ein weiteres eidgenössisches Eichenlaub verpasste er 1995 in Chur wegen einer Verletzung, die er sich im 2. Gang gegen Eugen Hasler zuzog.

Von Ende 2007 bis Ende 2013 war er als Technischer Leiter des Berner Verbandes ausserordentlich erfolgreich. In diese Zeit fielen der Kilchberger Sieg von Christian Stucki 2008 sowie die eidgenössischen Triumphe von Kilian Wenger 2010 und Matthias Sempach 2013.

Samuel Feller, mit welchen Hoffnungen und Erwartungen fahren Sie am Wochenende nach Estavayer?

«Wir wollen, sportlich gesehen, ein faires Fest erleben. Wir möchten einen würdigen Schwingerkönig bekommen, der nach Möglichkeit lauter Gegner besiegt, die Mitfavoriten waren. Und ich wünsche mir, dass wir einen Haufen neue und junge Eidgenossen bekommen werden. Das ist für uns, für den Schwingsport, sehr wichtig. Die Jungen sollen das Schwingen für die nächsten Jahre in die verschiedenen Regionen des Landes hinaustragen.»

In den letzten Jahren waren die Berner ganz obenauf, nicht nur mit Stucki, Wenger und Sempach. Auch für Estavayer werden sie am häufigsten als Favoriten genannt. Bis 2007 waren die Nordostschweizer mit Jörg Abderhalden, Arnold Forrer und Stefan Fausch kaum zu schlagen gewesen. Danach erlebten sie eine Durststrecke. Wie erklären Sie sich solche Schwankungen innerhalb der Verbände?

«Die Klubs und Verbände machen Nachwuchsarbeit mit Jungschwingern, aber irgendwann braucht man einen Athleten, der das ganze Training auf sich nimmt und zudem das Talent hat. Das ist schwierig zu steuern. Die Schweiz bekommt auch nicht immer wieder einen Roger Federer. Wenn ein Verband eine Durststrecke an der Spitze hat, wird er sich eher anstrengen, richtig mit den Jungen zu arbeiten. Es ist nicht einfach, denn etwa im Alter von 16 bis 18 Jahren springen viele talentierte Jungschwinger ab, wenn sie auf einmal andere Interessen haben. Ein Verband, dem es schlecht läuft, unternimmt viel eher möglichst grosse Anstrengungen, um wieder etwas auf die Beine zu stellen. Aber dann braucht es manchmal mehr als zehn Jahre, bis der Verband wieder breit dasteht. Ein Verband sollte eben genau dann am meisten zum Nachwuchs schauen, wenn er am meisten Erfolg hat. In der guten Zeit hätte er die besten Ressourcen. Aber solche Persönlichkeiten und Talente, wie sie der Berner Verband hat, einen Stucki, einen Sempach oder einen Wenger, das hat man vielleicht nur alle 20 oder 30 Jahre.»

Sie waren ab 2008 Technischer Leiter der Berner. Ihr Vorgänger war der bekannte Niklaus Gasser. Was haben Sie damals unternommen, damit es mit den Bernern wieder so stark aufwärts gehen konnte?

«Das war natürlich ein längerer Prozess. Als Chlöisu Gasser mit den Jungen begann, war Mättu Sempach zum Beispiel noch ganz jung. Chlöisu hatte eine gute Weitsicht und nahm die Jungen von Anfang an mit ins Boot. Er konnte sie auf diese Weise richtig fördern. Als ich die Mannschaft 2008 übernahm, hatten wir viele schon sehr gute Leute, aber sie waren sich noch nicht gewohnt zu gewinnen. Wir hatten viele Rohdiamanten. Meine Aufgabe war es danach, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie an die Spitze zu führen. Sie mussten merken, dass die andern auch nur mit Wasser kochen. Es war, alles zusammen, ein Prozess von zehn bis zwölf Jahren, bis wir wieder absolute Spitzenschwinger hatten. Es ist die grosse Herausforderung, die heute jeder Teilverband mit seinen Klubs hat.»

Sind Samuel Giger und Armon Orlik Beispiele dafür, dass es jetzt auch im Nordostschweizer Verband wieder aufwärts geht nach dem relativen Tief nach dem Eidgenössischen 2007 in Aarau?

«Genau. Und zwar kommt das sehr früh. Man konnte nicht damit rechnen, dass die Nordostschweizer schon für Estavayer wieder so starke Junge haben würden. Allerdings sind dies für mich auch zwei Ausnahmeathleten, genau wie damals Stucki und Sempach. Solche Leute kann man nicht programmieren. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Da nützt manchmal alles Training nichts. Ich erwähne wieder Roger Federer. Dieses Phänomen kann man auf einer etwas tieferen Stufe auch auf das Schwingen herunterbrechen.»

Als Technischer Leiter der Berner waren Sie im Einteilungskampfgericht am Eidgenössischen sozusagen der Anwalt der Berner. Am Wochenende werden Sie erstmals an einem Eidgenössischen quasi der Gerichtspräsident sein, oder vielleicht sogar der Friedensrichter, der alle Teilverbände gleich behandelt. Wie gehen Sie diese Aufgabe an?

«Es ist jetzt natürlich eine ganz andere Rolle. Aber ich glaube, dass es mir schon 2014 am Kilchberger Schwinget gut gelungen ist. In den drei Jahren beim Eidgenössischen Verband bin ich natürlich von den Berner Verbandstrainings weggekommen. Ich habe als eidgenössischer Technischer Leiter ganz andere Aufgaben. Ich muss in Estavayer dafür schauen, dass es einen schönen und vor allem einen fairen und ausgeglichenen Wettkampf gibt. Ich bin jetzt in einer komfortablen Lage, denn ich kann sagen: Einer meiner Schwinger wird auf jeden Fall gewinnen. Weil sie ja alle meine Schwinger sind (lacht). Am besten ist es, wenn der neue Schwingerkönig gegen die Besten geschwungen haben wird, wenn er also zuletzt ein würdiges Notenblatt vorweisen kann.»

Sie gewannen 1992 in Olten mit 19 Jahren ihren ersten eidgenössischen Kranz. Wie hat sich der Schwingsport in den 24 Jahren seither in Ihren Augen verändert?

«Extrem viel hat sich nicht geändert. Sicher machen die guten Schwinger heute ein paar Trainings mehr. Aber damals schon gab es den Übergang zum moderneren und athletischeren Schwingen. Bis dorthin zählten vor allem Grösse, Gewicht und Kraft. Heute ist der Schwinger vielfältiger, auch in der technischen Ausbildung. Das Training selber ist vielfältiger, es gibt immer auch neue Erkenntnisse. Sicher wird heute intensiver mit den Jungen gearbeitet. Man spricht auch mehr mit ihnen und lotet ihre Ziele aus.»

Geben Sie uns drei Tipps: Wer wird am Sonntag Schwingerkönig?

«Natürlich ist Matthias Sempach ein heisses Eisen, aber nach meinen Beobachtungen in dieser Saison auch Armon Orlik, Christian Stucki und Christian Schuler. Ich lege mich nicht fest. Es ist mir auch wichtig zu sagen, dass ich eine neutrale Position einnehmen werde. Aber ganz bestimmt gibt es nicht 20 Schwinger, die Schwingerkönig werden können.»

Kann man über die Verbände hinweg ein allgemeines Duell der Generationen erwarten?

«Alle Verbände haben gute junge Schwinger. Es kann in Estavayer eine Wachablösung geben. Es ist schade, dass sich Joel Wicki noch kurz vor dem Fest verletzt hat. All die Jungen werden nicht nur mitschwingen wollen. Die Älteren sollen am Fest merken, dass die Jungen nachdrücken. Ich freue mich schon heute diese Duelle. Ja, es soll viele Generationen-Duelle geben.»

Ist es ein Zufall, dass seit 1940 kein Schwingerkönig mehr älter als 29 war?

«Das ist kein Zufall. Natürlich kann auch ein 31-Jähriger König werden. Christian Stucki wird es ja beweisen wollen. Aber am Eidgenössischen sind die Plätze zwei Meter grösser im Durchmesser. Die Gänge dauern länger, und es geht über zwei Tage. Im Alter ab 27 Jahren muss ein Schwinger ein Training mehr machen, um gleich gut zu bleiben. Einen Vorteil hat er mit der Routine, aber besser wird man irgendwann nicht mehr.»

Was sagen Sie zur Tatsache, dass sich die Spitzenschwinger im Unterschied zu früher vermarkten und dass sie Millionäre werden können?

«Es muss die klaren Regelungen geben, wie wir sie im Verband mit den Schwingern haben. Sehr wichtig ist, dass das Schwingen weitgehend seinen Ursprung behält. Die Arena und die Schwinger sind werbefrei. In der Arena wollen wir das Brauchtum pflegen. Daneben sind die Schwinger frei zu tun, was sie wollen. Ich persönlich will auch ein wenig den Gral des Brauchtums hüten. Schwingen ist ein einzigartiges Erlebnis. Aber die Jungen stellen das auch nicht in Frage, im Gegenteil. Der Kranz ist etwas Symbolisches, aber er ist für die Schwinger viel wichtiger als der Preis. Man kann den Kranz nicht mit Geld aufwiegen.»

veröffentlicht: 24. August 2016 05:00
aktualisiert: 24. August 2016 05:37
Quelle: SDA

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