Eine Laudatio für den Weltmeister

· Online seit 03.07.2017, 23:00 Uhr
Deutschland hat in Russland mehr als den Confederations Cup gewonnen. Der Weltmeister hat bei der WM-Hauptprobe seinen beeindruckenden Tiefgang zur Schau gestellt. In der aktuellen Qualifikations-Kampagne hat der Titelhalter bisher nicht immer brilliert, aber keinen Punkt verloren.
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Noch imposanter fällt die DFB-Bilanz der beiden Sommer-Turniere aus: Am Freitag stellte die U21 im EM-Final die hoch dotierten Spanier vor unlösbare Probleme, 48 Stunden später gewann Joachim Löws «Boygroup» («Die Welt») gegen den Copa-America-Champion Chile erstmals den Confederations Cup.

Die Experten staunen, die Kommentatoren verneigen sich in corpore vor jener Fussball-Nation, die ein Jahr vor der wichtigsten Endrunde auf allen Stufen besser aufgestellt ist als die Konkurrenz. Jürgen Klinsmann, 2006 Löws Chef und Sommermärchenprinz, legte sich im «Kicker» schon vor dem Halbfinal fest: «Kein anderes Land verfügt derzeit über ein ähnlich grosses Potenzial im Bereich zwischen 21 und 26 Jahren.» Ottmar Hitzfeld vertritt einen ähnlichen Standpunkt: «Die Perspektiven sind unglaublich. Deutschland könnte 40 bis 50 Spieler für die WM nominieren.»

Englands Altmeister und BBC-Moderator Gary Lineker reagierte auf die deutsche Dominanz und Präsenz an der Spitze der Verbände mit feiner Twitter-Ironie: «Im Cricket sind sie miserabel.» Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» ordnet die jüngsten Trophäen auf einer anderen Ebene ein: «Der deutsche Fussball funkelt. So viele gute und junge Spieler sind ein Schatz.» Die «Bild» prophezeit eine wunderbare Zukunft: «Und das Beste kommt erst noch!» Die Analysten sind sich einig: Nie zuvor in der DFB-Geschichte war der Fundus an überdurchschnittlichen Akteuren reicher als jetzt.

In Russland fehlten mindestens 15 vom Stamm des WM-Titelträgers, von der erst Anfang Juni zusammengestellten Stellvertreter-Auswahl haben sich während des zweiwöchigen Castings diverse Kandidaten für eine wichtigere Rolle aufgedrängt. Die Dreifach-Torschützen Leon Goretzka (Schalke), Lars Stindl (Mönchengladbach) und Timo Werner (Leipzig) etwa oder Sebastian Rudy (Bayern München) als wertvoller Back-up im Mittelfeld. Von den Junioren-Europameistern sandten die Berliner Niklas Stark und Davie Selke sowie Captain Maximilian Arnold (Wolfsburg) starke Signale.

Einer managt die Entwicklung seit elf Jahren mit einer aussergewöhnlichen Grandezza und Weitsicht: Jogi Löw, 57-jährig, 152 Länderspiele, 102 Siege, an sechs Turnieren in Folge in den Top 4. Ein paar mediale Beobachter warfen ihm bis zum Höhepunkt in Rio de Janeiro gelegentlich vor, in grossen Spielen nicht in bester Form zu sein; die Kritiker schweigen inzwischen. Löw coachte am Schwarzen Meer auch die zweite deutsche Garde gegen Top-Teams aus Lateinamerika mit attraktivem und modernem Fussball zur Trophäe.

Der Spiegel-Reporter verfasste eine veritable Laudatio: «Das Turnier in Russland hat den Bundes-Trainer noch einmal in einem neuen Licht erscheinen lassen. Er kann tüfteln, er kann Formationen von Spiel zu Spiel umbauen und sich dem jeweiligen Gegner nahezu perfekt anpassen.» Löw experimentierte taktisch und personell, stilsicher und souverän - kurzum: restlos überzeugend.

Ein wertvollerer Repräsentant als Löw ist kaum vorstellbar. Er begeht nicht nur äusserst selten Fehler, der Schwabe kommuniziert in fast jeder Lage wohltuend temperiert, fast schon staatsmännisch. Und er ist kein Coach, der im Rausch der Siegerstunde den Fokus verliert. «Wir haben eine gute Basis, aber die schwierigsten Aufgaben kommen noch.» Bodenhaftung ist in seinem Programm inbegriffen.

Auf Langzeit-Prognosen à la Franz Beckenbauer verzichtet Löw, die Aussagekraft der DFB-Titel-Doublette relativierte der Chef-Stratege auch im eigenen Interesse sofort. Zusammen mit Team-Manager Oliver Bierhoff trat er auf die Bremse: «Die Talente stehen erst am Anfang. Die nächsten fünf, acht oder zehn Jahre wird sich zeigen, was diese Spieler leisten können. Wenn man Weltmeister werden will, braucht man Weltklassespieler.»

Im deutschen Fussball stecken gewaltige Ressourcen. Die Bundesliga ist ein Kraftfeld, das floriert und von Figuren mit Knowhow geführt wird - auch ohne Europacup-Final-Teilnahme seit 2013. Die erstklassige Stadion- und Trainings-Infrastruktur, der mächtige TV- und Werbe-Markt, das enorme Publikumsinteressse, die Bereitschaft, trotz hoher Fernseh-Einkünfte weiterhin enorm viel in die Ausbildung zu investieren, sind die Grundlage für nachhaltiges Schaffen.

veröffentlicht: 3. Juli 2017 23:00
aktualisiert: 3. Juli 2017 23:00
Quelle: SDA

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