Ermittler prüfen islamistischen Hintergrund

12.04.2017, 14:24 Uhr
· Online seit 11.04.2017, 19:49 Uhr
Auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund ist nach Einschätzung der Polizei am Dienstagabend ein gezielter Anschlag verübt worden. In einem Bekennerschreiben gibt es Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund. Im Internet kursiert aber auch ein Bekennerschreiben aus der antifaschistischen Szene.
Laurien Gschwend
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Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf ein Tötungsdelikt. «Wir ermitteln in alle Richtungen», sagte Staatsanwältin Sandra Lücke bei einer Pressekonferenz in Dortmund. Nach wie vor werde auch ein islamistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen, wie die Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch erfuhr. Weiter haben die Ermittler gewaltbereite Fans oder andere Täter im Visier.

Gefundenes Schreiben beginnt mit «Im Namen Allahs»

Staatsanwältin Lücke teilte sie mit, dass am Tatort ein Schreiben gefunden worden sei, dessen Echtheit noch geprüft werde. Über den Inhalt des Schreibens und die Sprache, in der es verfasst wurde, wollte sie aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst keine Angaben machen.

Wie verschiedene deutsche Medien berichten, beginne das am Tatort gefundene Schreiben mit den Worten «Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen». In dem Schriftstück werde Bezug auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt genommen. Zudem werde behauptet, dass deutsche Tornados daran beteiligt seien, Muslime im Kalifat des sogenannten Islamischen Staats zu ermorden.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund will vorerst keine weiteren Details zur Attacke bekannt geben. «Wir geben aktuell keine weiteren Presseinfos raus», sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund am Mittwochmorgen. «Wir haben den Grundsachverhalt geschildert, jetzt ermitteln wir», betonte er.

Bekennerschreiben aus Antifaschisten-Szene aufgetaucht

Im Zusammenhang mit den Explosionen prüfen die Ermittler die Authentizität eines zweiten Bekennerschreibens, das möglicherweise aus der antifaschistischen Szene kommt. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wird in dem am späten Dienstagabend im Internet verbreiteten Schreiben in Antifa-Duktus erklärt, der Bus sei mit eigens für den Anschlag angefertigten Sprengsätzen als «Symbol für die Politik des BVB» attackiert worden, die sich nicht genügend gegen Rassisten, Nazis und Rechtspopulisten einsetze.

Die Ermittler prüften am Mittwoch die Authentizität der beiden Bekennerschreiben.

Bundesanwaltschaft übernimmt

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat nun die Ermittlungen übernommen. Sie will am Mittwoch um 14 Uhr über den Ermittlungsstand informieren. Laut einem Bericht der «Welt» wurde das Bundeskriminalamt (BKA) mit der Ermittlungsarbeit beauftragt. Das BKA habe eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) in Berlin.

Marc Bartra bei Explosion verletzt

BVB-Innenverteidiger Marc Bartra, der bei der Explosion in der Nähe des Busses schwer verletzt wurde, musste am Dienstagabend am Handgelenk operiert werden. Der Spanier habe «eine gebrochene Speiche im rechten Handgelenk und diverse Fremdkörpereinsprengungen» erlitten, sagte BVB-Pressesprecher Sascha Fligge. Die anderen Spieler blieben unverletzt. Ein Polizeibeamter erlitt ebenfalls Verletzungen.

«Angriff mit ernst zu nehmenden Sprengsätzen»

Kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco waren gegen 19.15 Uhr drei Sprengsätze in der Nähe des Mannschaftsbusses der Borussia-Spieler explodiert, als dieser vom Mannschaftshotel losfuhr.

Der BVB-Bus war auf dem Weg zum Viertelfinal-Hinspiel gegen den AS Monaco. Die Polizei sprach von «einem Angriff mit ernst zu nehmenden Sprengsätzen». Die Wucht der Detonationen liess die Scheiben des Busses teilweise bersten.

«Alle haben sich geduckt»

Der Schweizer Goalie Roman Bürki, der seit der letzten Saison für Dortmund spielt, schilderte gegenüber «Blick»: «Ich sass in der hintersten Reihe neben Marc Bartra, der von Splittern der zerborstenen Rückscheibe getroffen wurde. Nach dem Knall haben wir uns alle im Bus geduckt und, wer konnte, auf den Boden gelegt.» Alle seien geschockt gewesen, an das Fussballspiel habe Minuten danach keiner gedacht.

Schutzmassnahmen für Spieler und Fans

Die Polizei leitete Schutzmassnahmen für die Spieler beider Mannschaften ein, wie Polizeipräsident Gregor Lange sagte. Nach den Explosionen seien sofort alle verfügbaren Polizeikräfte eingebunden worden, um sowohl den Tatort als auch am Stadion die Abreise der Fans abzusichern.

Unter anderem seien Sprengstoffexperten und Sprengstoffhunde im Einsatz gewesen, sagte Lange. «Wir wussten nicht, was an weiterem passieren wird.» Aus der Luft sei am Tatort mit einer Drohne nach möglichen weiteren Sprengsätzen und weiteren Gegenständen gesucht worden.

Fans im Stadion ungefährdet

Es gebe keine Hinweise auf die Gefährdung der Personen im Stadion, entwarnte die Dortmunder Polizei. «Es besteht jetzt hier im Stadion kein Grund zur Panik», sagte der Stadionsprecher am Dienstagabend. Er sprach aber auch von einem «gravierenden Zwischenfall». Die Fans wurden gebeten, noch eine Weile im Stadion zu bleiben und Ruhe zu bewahren, um eine geordnete Abreise zu gewährleisten.

Die Dortmunder Polizei lobte am Mittwoch das Verhalten von zehntausenden Fussballfans nach der kurzfristigen Absage des Champions-League-Spiels gegen den AS Monaco. Polizeisprecherin Nina Vogt sagte: «Das ruhige Verhalten der Fans hat uns natürlich als Polizei und sicherlich auch dem Verein sehr geholfen. Ich glaube, da können wir alle sagen, dass wir auf die Reaktionen gestern nur stolz sein können.»

«Auch heute siegt Menschlichkeit»

Die Monaco-Fans zeigten Solidarität mit den Dortmundern. Sie wurden von Borussia Dortmund darauf aufmerksam gemacht, über den Hashtag #bedforawayfans nach einer Bleibe für die Nacht zu suchen. «Das ist Fussball», «Das zeigt, dass viele noch bei Sinnen sind», «Auch heute siegt Menschlichkeit», fanden Twitter-User.

Der Verein bedankte sich über Twitter ausdrücklich bei den AS-Monaco-Fans im Stadion für die aufmunternden «Dortmund»-Rufe.

«Alle Borussen rücken zusammen»

Borussia Dortmund bedankte sich am Dienstagabend bei seinen Fans. «In so einer Krisensituation rücken alle Borussen zusammen. Ich denke, das wird auch die Mannschaft morgen spüren», äusserte sich BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gegenüber dem TV-Sender «Sky». Das ganze Team müsse nun versuchen, den Schock zu verarbeiten. Es sei sicherlich schwierig, am Mittwoch auf dem Fussballplatz wieder eine volle Leistung abzuliefern, «aber das ist unser Job».

«Du wirst nie alleine sein, BVB! Wir stehen zusammen!», drückte der Hamburger SV sein Mitgefühl aus.

Nachholspiel am Mittwoch

Für das neu angesetzte Spiel am Mittwoch um 18.45 Uhr bereitet sich die Dortmunder Polizei demnach auf einen Grosseinsatz vor. «Wir werden alles dafür tun, dass das Spiel morgen sicher ablaufen kann», fügte Polizeipräsident Lange hinzu.

Regierungssprecher Steffen Seibert wünschte dem verletzten BVB-Spieler Bartra auf Twitter «gute Besserung» und lobte die «grosse Reaktion» der Monaco-Fans.

«Meine Gedanken sind bei der Mannschaft. Jetzt gilt es, die Hintergründe aufzuklären», erklärte der deutsche Innen- und Sportminister Thomas de Maizière. «Ich hoffe, dass morgen wieder der Fussball im Mittelpunkt steht.» De Maizière werde am Mittwoch dem Spiel zwischen Dortmund und Monaco beiwohnen, hiess es auf Twitter.

Tatort abgesichert

Am Mittwochmorgen sicherte die Polizei den Tatort ab. An den Zufahrten standen Einsatzkräfte mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen. Querstehende Polizeiautos blockierten die Strassen. Bei dem Einsatz ging es um die Spurensuche.

Auch der Mannschaftsbus soll untersucht werden, wie ein Sprecher der Polizei erläuterte. Die Ermittlungen der Polizei liefen die Nacht durch. Die Polizei bedankte sich via Twitter bei Anwohnern, die Beamte in der Nacht mit Kaffee versorgten.

veröffentlicht: 11. April 2017 19:49
aktualisiert: 12. April 2017 14:24
Quelle: SAD/lag

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