Gegen die Wahrscheinlichkeit

5 Überraschungs-Meister und ihre Parallelen zum aktuellen FCSG

27.02.2020, 05:55 Uhr
· Online seit 27.02.2020, 05:54 Uhr
Spätestens seit der überzeugenden Leistung des FC St.Gallen gegen die Young Boys vergangenen Sonntag ist klar: Der FCSG ist ein Meisterkandidat. Wir schauen uns vergangene «Überraschungs-Meister» an und verraten den Espen, was sie sich so abschauen könnten.
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Auch wenn – von den vermögenden Clubs – behauptet wird, dass man mit Geld keine Titel kaufen kann: Die Statistik sagt etwas anderes. Je mehr Mittel ein Fussballclub hat, desto eher steht er am Ende der Saison weit oben in der Tabelle. Dass es aber auch immer die sogenannten «Fussballmärchen» gibt, in denen ein Underdog plötzlich die Tabelle erobert, ist ebenfalls Fakt.

Dieses Jahr könnte ein solches Märchen dem FC St.Gallen gelingen, die Espen spielen die Serienmeister FC Basel und YB regelrecht an die Wand. Doch kommt es in der Saison 2019/2020 zum Happy End und zum dritten Meistertitel für den FC St.Gallen? Wir haben ein paar frühere «Überraschungs-Meister» verschiedener Ligen rausgepickt. Hier erklären wir, wie es diese Mannschaften zum Titel gebracht haben und was sie mit dem aktuellen FC St.Gallen verbindet.

FC St.Gallen in der Saison 1999/2000

Ja, natürlich muss man eine solche Aufzählung mit dem FC St.Gallen beginnen. Vor der Meistersaison 1999/2000 rechnete wirklich niemand damit, dass sich die Espen überhaupt über dem Strich, den es damals noch gab, platzierte.

Heute wissen wir, dass es anders kam. Nach der miserablen Vorsaison holte der FC St.Gallen fast nur Spieler aus der Nati B. Die Espen konnten sich an der Spitze absetzen, zur Winterpause führten sie mit acht Punkten Vorsprung auf Basel.

Als Knackpunkt wird häufig das erste Spiel in der Rückrunde auswärts gegen GC erwähnt. Der FCSG lag nach nur 15 Minuten 0:3 hinten und schaffte noch vor der Pause den Ausgleich. Trotz erneutem Rückstand gelang den Espen zum Schlusspfiff ein 4:4.

Quelle: TVO

Die Parallelen zum heutigen FCSG sind offensichtlich: Eine Mannschaft, die mit Spielern aus tieferen Ligen ergänzt worden ist. Alle wollen sich beweisen. Vergleichbar ist auch die offensichtliche Spielfreude auf dem Platz, einhergehend mit dem starken Teamgeist.

FC Aarau in der Saison 1992/1993

Wir bleiben noch in der Schweiz. Dass Rolf Fringer den ewigen Abstiegskandidaten Aarau zum Meistertitel führen konnte, war eine absolute Sensation.

Doch auch hier war der entscheidende Faktor: Keine Stars. Ein Team, in dem jeder für jeden einspringt. Servette hatte Sonny Anderson, Lugano Dario Zuffi, Sion die komplette Nati-Verteidigung. Noch extremer wird es, wenn man sich die damaligen Grasshopper anschaut: Mats Gren, Giovanni Elber, Ciriaco Sforza, Marcel Koller, Alain Sutter, Johan Vogel, Murat Yakin und Heinz Hermann standen – nebst vielen weiteren bekannten Namen – im Kader.

Fringer holte Roberto Di Matteo, der beim FC Zürich nicht glücklich wurde. Ganz anders bei Aarau. «Die Mannschaft entwickelte eine Freude daran, auf den Platz zu gehen und zu wissen, mit einer guten Leistung verdient gewinnen zu können. Das gab ihr Selbstvertrauen, und sie wurde Schritt für Schritt besser. «Da kommst du in Sphären, wo dir plötzlich Flügel wachsen», sagte Fringer im Schweizer Fussballmagazin «Zwölf». Trainer Fringer brachte als erster so richtige Taktik in den Schweizer Fussball. Er liess aggressives Pressing spielen, die Stars der anderen Mannschaften konnten damit nicht umgehen.

Ein weiterer wichtiger Baustein des damaligen Erfolgs: Die Harmonie zwischen Trainer Rolf Fringer, Präsident Ernst Lämmli und Sportchef Fredy Strasser. Und: Fringer liess die Fussballer auch mal «normale» Menschen sein. Sie durften in den Ausgang, nach den Spielen ass man zusammen im Aarauerhof Pouletflügeli.

Die Parallelen zum heutigen FCSG: Mit Pressing zum Sieg, das Reiten auf der Erfolgswelle, Zusammenhalt und Ruhe im Verein. Das waren die Zutaten für den Aarau-Erfolg, das sind auch einige der Zutaten für den derzeitigen FCSG-Höhenflug.

Leicester City in der Saison 2015/2016

Nur knapp konnte sich Leicester nach dem Wiederaufstieg 2014/2015 in der Premier League halten. Obwohl Trainer Nigel Pearson das Kunststück schaffte, musste er auf die neue Saison gehen, der damals arbeitslose Claudio Ranieri wurde eingestellt.

Ranieri setzte voll auf den Teamspirit. Wirkliche Starspieler hatten die Foxes zu Beginn der Saison nicht. Auf Drängen des Assistenztrainers Steve Walsh wurde N'Golo Kanté für rund sechs Millionen Franken von Caen geholt, ein Spieler, den zuvor niemand in der Premier League auf dem Radar hatte. Und er schlug voll ein.

Der Trainer zeigte sich immer von seiner nahbaren Seite, schüttelte bei den Medienkonferenzen allen Journalisten die Hand, machte Spässchen und blieb bescheiden. Als Leicester die 40-Punkte-Marke knackte, meinte Ranieri, dass sein Team jetzt nichts mehr mit dem Abstieg zu tun habe. Dabei standen sie bereits an der Tabellenspitze. Auf den möglichen Titel angesprochen, sagte Ranieri: «Ich würde gerne sagen ‹Yes, we can›, aber ich bin leider nicht Barack Obama.»

Nachdem Leicester früh aus dem FA Cup ausschied, schickte Ranieri seine Spieler eine Woche in die Ferien – mitten in der Saison. Bei ihrer Rückkehr waren sie schier unschlagbar. Das Team hatte sich über die gemeinsame Freizeit gefunden.

Die Parallelen zum heutigen FCSG: Ein Trainer, der nicht abhebt, der seine eigenen Stärken und die des Gegners richtig einschätzt. Und auch der FCSG flog diese Saison früh aus dem Cup – seither läuft es wie am Schnürchen.

Hellas Verona in der Saison 1984/1985

Turin, Mailand und Rom. Seit 1970 kam kein italienischer Meister mehr aus einer anderen Stadt. Und dann war da plötzlich Verona, erst zwei Jahre zuvor aufgestiegen.

Verona setzte auf eine starke Verteidigung rund um den Deutschen Hans-Peter Briegel. Nur gerade 19 Tore mussten die Gialloblu mit der «Walz aus der Pfalz» in der Saison 1984/1985 zulassen.

Gleichzeitig schoss Verona 42 Tore, das war zusammen mit Inter die meisten in der Serie A in jener Saison. Besonders bemerkenswert war hier, dass Giuseppe Galderisi mit nur 11 Toren der Topscorer der Mannschaft war. Zum Vergleich: Der damalige Torschützenkönig Michel Platini traf 18 mal.

Die Parallelen zum heutigen FCSG: 31 Tore musste die junge St.Galler Verteidigung bisher zulassen. Das ist nur gerade Mittelfeld in der aktuellen Meisterschaft. Trotzdem können Hefti, Stergiou und Co. mit ihrer Sicherheit überzeugen. Mindestens so wichtig sind diese Saison für die Espen aber die geschossenen Tore. Mit 51 Treffern sind sie das torgefährlichste Team der Liga. Im Vergleich zum damaligen Verona verteilt auch der FC St.Gallen die vielen Tore auf mehrere Schultern. In den Top-5 der Torschützenliste der Super League stehen mit Ermedin Demirovic (9), Jordi Quintillà (9) und Cedric Itten (9) drei St.Galler gleichauf auf Platz zwei. Nur Jean-Pierre Nsame (YB, 18 Tore) trifft häufiger.

1. FC Kaiserslautern in der Saison 1997/1998

Was war das für ein Lauf! Als Aufsteiger direkt zum Titel. Gleich in der ersten Runde der Bundesliga-Saison 1997/1998 traf der 1. FC Kaiserslautern auf Titelverteidiger Bayern München – und gewann auswärts 1:0.

Ab der 4. Runde stand das Team von Trainer Otto Rehhagel auf dem ersten Tabellenrang, am vorletzten Spieltag konnten sich die Lautener zum Meister küren. Dabei galt die Meistermannschaft zu Beginn der Saison noch als zerstritten, erst unter Rehhagel wurde sie zum Team.

Die meisten in der Mannschaft gehörten bereits zum alten Fussballer-Eisen. Rehhagel ergänzt die alten Kämpfer um Andreas Brehme, Miroslav Kadlec und Ratinho gezielt mit jungen Spielern. Michael Ballack kommt von Chemnitz, Marian Hristov von Lewski Sofia und Andreas Buck vom VfB Stuttgart. Und der wichtigste Transfer: Ciriaco Sforza.

Sforza brachte im Mittelfeld die Übersicht und die Genialität. Gegen vorne leitete er mit seiner Technik die Offensive aus, gegen hinten sicherte er souverän ab. Wenig überraschend stemmte Sforza auch als erster die «Salatschüssel» nach dem Meistertitel in die Höhe, noch vor der Clublegende Andreas Brehme.

Die Parallelen zum heutigen FCSG: Der FC St.Gallen hat vielleicht nicht gerade einen Ciriaco Sforza in Bestform in der Mannschaft, aber mit Jordi Quintillà und Victor Ruiz doch äusserst begnadete Techniker, die einen Schuss Genialität ins St.Galler Spiel bringen. Und sich trotzdem nicht zu schade sind, auch in der Verteidigung eine wichtige Rolle einzunehmen.

Noch ist der Weg für den FCSG weit. Aber unsere Übersicht zeigt: Märchen gibt es im Fussball immer wieder. Wir drücken die Daumen!

veröffentlicht: 27. Februar 2020 05:54
aktualisiert: 27. Februar 2020 05:55
Quelle: FM1Today

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