Für die meisten Fussballer kam die Länderspielpause keinen Tag zu früh. Nach den knallharten Monaten seit Wiederaufnahme des Spielbetriebs im September 2020 gab es nur wenige freie Tage – dass das Freizeitangebot wegen Corona stark eingeschränkt ist und sich Berufsfussballer ohnehin in einer eigenen Blase aufhalten, machte die Sache nicht einfacher.
Es gibt jedoch einen Profi, der auf die Pause gut und gerne verzichtet hätte, der heiss ist auf jede Einsatzminute: Nicolas Lüchinger (26). St.Gallens Aussenverteidiger feierte beim 2:2 gegen YB sein Comeback nach fast zweijähriger Verletzungspause, zählte bei der 3:4-Niederlage am Samstag in Lausanne erneut zum Kader.
«Ich bin nun fitter denn je – wie Dani Alves zu seinen besten Zeiten», flachst die Kämpfernatur aus Oberriet. Die 680 Tage Zwangspause haben in seinem Leben vieles verändert – den Humor haben sie Nicolas Lüchinger aber nicht genommen.
Knie, Keime, Knorpel
In der Saison 2019/2020, als der FC St.Gallen völlig überraschend Vizemeister wurde, stand «Lüchi» nicht ein einziges Mal im Aufgebot. Sein Leiden begann schon davor, Anfang Mai 2019, nach einem Auswärtsspiel gegen GC (1:0). Er verspürte Schmerzen im rechten Knie, es wurde ein Meniskusschaden festgestellt und Lüchinger musste sich ein erstes Mal unters Messer legen. «Ich liess mich noch vor Saisonende operieren, um die Vorbereitung für die neue Spielzeit nicht zu verpassen», blickt er zurück.
Die Ausfallzeit hätte nur rund einen Monat betragen sollen. Der Aussenverteidiger hatte nach der Operation zwar keine Schmerzen mehr, jedoch schwoll das Knie bei jeder Bewegung an. Eine Blutprobe brachte schliesslich die Erkenntnis, dass sich Lüchinger einen Keim eingefangen hatte.
«Das Prozedere war fortan immer dasselbe: Knie aufschneiden, mit Wasser durchspülen, zusammennähen und dann sechs Wochen lang Antibiotika schlucken», erzählt Lüchinger. Doch der Keim verschwindet nicht. Insgesamt vier Mal muss er das Ganze über sich ergehen lassen, ehe er mit der Hilfe eines Ernährungsberaters die Schutzhülle des Keims beschädigen und diesen schliesslich aus dem Knie entfernen kann.
Fast beiläufig wird im rechten Knie auch noch ein Knorpelschaden festgestellt – als Spätfolge der Meniskus-Operation. «Da rechnet man mit einer weiteren Ausfallzeit von sechs Monaten», weiss Lüchinger.
Reisen, kochen, hoffen
Seine Teamkollegen rocken in der Zwischenzeit die Fussballschweiz, stürmen völlig überraschend zur Vizemeisterschaft. Und Lüchinger? Feiert erst Ende August 2020 im Vorbereitungsspiel gegen Austria Lustenau sein Comeback. Die eine Halbzeit, die er absolviert, sollte sich als verhängnisvoll herausstellen: Wieder Meniskus-Probleme, diesmal im linken Knie, erneut begleitet von einem Knorpelschaden.
«Ich bin ein Spieler, der extrem viel Zeit ins Training investiert, auch neben dem Platz. Vielleicht war es einfach zu viel des Guten», versucht Lüchinger eine Erklärung für seine lange Leidenszeit zu finden. Die Mitspieler hätten sich stets bei ihm gemeldet und nachgefragt, wie es ihm gehe. Auch mit Trainer Peter Zeidler und Sportchef Alain Sutter habe er nach den Operationen immer telefoniert.
Es gab aber auch Zeiten, in denen sich Nicolas Lüchinger bewusst aus dem Kybunpark zurückzog, für sich trainierte, «um nicht durchzudrehen». Er entdeckte eine Passion fürs Kochen und ging vor der Pandemie auch ganz alleine auf Reisen. «Als ich zum Beispiel wusste, dass die nächste Operation erst in zwei Wochen fällig sein würde, flog ich für zwei Wochen nach Kolumbien – und hatte dort die Zeit meines Lebens.»
Bleibt Lüchi in St.Gallen?
Über die vergangenen zwei Jahre spricht der Daueroptimist nicht wie über eine Zeit voller Leiden. Und man nimmt es «Lüchi» ab, wenn er sagt: «Ich hatte nie Zweifel an meinem Comeback. Genauso wie ich in der Vergangenheit kämpfen musste, um mich in der Super League durchzusetzen, habe ich mich auch jetzt zurückgekämpft – das verdanke ich meiner Mentalität.»
Nun kämpft Nicolas Lüchinger um einen neuen Vertrag. Das derzeitige Arbeitspapier ist noch bis im Sommer gültig, nach der Länderspielpause verbleiben noch zehn Super-League-Runden, um die Verantwortlichen von einer Verlängerung zu überzeugen. «Wir sind im Austausch und werden sehen, wie sich alles entwickelt», sagt Alain Sutter und fügt an: «Ich bin sehr froh, dass Lüchi seine langwierige Verletzung überwunden und den Anschluss an die erste Mannschaft wieder geschafft hat.»
Auch für den Spieler ist klar, dass er in St.Gallen bleiben möchte. «Der FCSG ist meine Heimat, meine Freunde und Familie leben in dieser Region, die absolut fussballbegeistert ist.» Und wenn es doch nicht klappen sollte mit einem neuen Vertrag in der Ostschweiz, so wird Lüchi eben an einem neuen Ort weiterkämpfen.