Der FCSG hat die Zahlen eines Absteigers
Am Ende hatte Basil Stillharts Platzverweis nach 18 Minuten sogar noch etwas Zweckmässiges – er half den Espen, die indiskutable 0:4-Heimpleite gegen Aufsteiger GC einzuordnen. «Die rote Karte hat das Spiel entschieden», diktierte Trainer Peter Zeidler in die Notizblöcke der Reporter, als sich die Fans längst aufgemacht hatten, den Kybunpark nach diesem tristen Nachmittag zu verlassen.
In der Tat hatte man nach der roten Karte nie das Gefühl, die Espen könnten das Ruder noch herumreissen, die Niederlage war auch in dieser Höhe absolut verdient. Abgesehen davon ist es fraglich, ob die Partie ohne den Platzverweis eine andere Wendung genommen hätte, zumal GC schon bei elf gegen elf zwei hundertprozentige Chancen fahrlässig liegengelassen hatte.
Und genau hier liegt das Problem: St.Gallen gesteht seinen Gegnern viel zu viele Torchancen zu. Das 0:4 gegen die Grasshoppers war bereits die zehnte Partie, in der die Espen mindestens zwei Gegentore zuliessen. Die 35 Gegentore sind Ligahöchstwert.
Die Verteidigung beginnt im Angriff
Es sind besorgniserregende Zahlen, die St.Gallens Defensive zutage fördert. Man könnte sogar sagen: Der FCSG hat die Zahlen eines Absteigers. Mehr als 35 Gegentore in den ersten 16 Runden gab es zuletzt in der Saison 2007/08, der letzten im Espenmoos, nach der die Ostschweizer bekanntlich den Gang in die Challenge League antreten mussten (vgl. Tabelle).
Saison | Gegentore nach 16 Spieltagen | Trainer |
2007/2008* | 36 | Rolf Fringer, Krassimir Balakov |
2021/2022** | 35 | Peter Zeidler |
2010/2011* | 32 | Uli Forte, Jeff Saibene |
2018/2019 | 30 | Peter Zeidler |
2017/2018 | 29 | Giorgio Contini, Boro Kuzmanovic |
2016/2017 | 25 | Joe Zinnbauer, Giorgio Contini |
2009/2010 | 23 | Uli Forte |
2014/2015 | 22 | Jeff Saibene |
2019/2020 | 21 | Peter Zeidler |
2015/2016 | 17 | Jeff Saibene, Joe Zinnbauer |
2013/2014 | 16 | Jeff Saibene |
2020/2021 | 12 | Peter Zeidler |
2012/2013 | 11 | Jeff Saibene |
* Nach dieser Saison stieg der FC St.Gallen in die Challenge League ab
** aktuelle Spielzeit
Was den Verantwortlichen des FC St.Gallen ebenfalls zu denken geben muss: In der vergangenen Saison waren es zum gleichen Zeitpunkt lediglich zwölf Gegentore, nun sind es fast dreimal so viele. Den Grund dafür in den Absenzen der Stammverteidiger Leonidas Stergiou, Michael Kempter und Nicolas Lüchinger zu suchen, greift zu kurz. Gerade im Pressing-System der Espen beginnt die Verteidigungsarbeit schon bei den Stürmern.
Ist der Lerneffekt schon verpufft?
Es liegt auf der Hand: Findet in der Taktik kein Umdenken statt, wird der FC St.Gallen mit wehenden Fahnen untergehen. Oft wurden die Espen für ihr forsches Pressing und ihre attraktive Spielweise gelobt, nun bringt es Captain Lukas Görtler auf den Punkt: «Es reicht nicht, ständig zu sagen, dass wir alles probiert und gekämpft haben. Wir müssen die Siege einfach auch holen.»
Der FCSG ist an einem Tiefpunkt angelangt – mal wieder, ist man geneigt zu sagen. Denn in einer fast identischen Situation befand sich der Tabellenachte bereits anfangs Oktober, als man im Letzigrund und ebenfalls gegen GC mit 2:5 tauchte.
In der Folge legten die Ostschweizer den Fokus vermehrt auf solide Verteidigungsarbeit und holten drei Siege aus vier Spielen. Nach drei Niederlagen und einem Torverhältnis von 1:8 scheint dieser Lerneffekt bereits wieder verpufft zu sein.
Punkte statt Lob
Am Samstagabend gastiert der FC Lugano im Kybunpark. Von den Tessinern kann der FC St.Gallen viel lernen: Sie stehen sehr defensiv, um dann mit überfallartigen Kontern Nadelstiche zu setzen.
Es ist eine Taktik, die zuletzt vollends aufging: Mit fünf Siegen in Folge (10:2-Tore) hat die Mannschaft von Mattia Croci-Torti den dritten Tabellenplatz gefestigt, ist erster Verfolger von Zürich und Basel.
Es könnte durchaus einen Versuch wert sein, den FC Lugano mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Auch wenn es Peter Zeidler Überwindung abverlangen dürfte, von seinem riskanten Pressingfussball abzuweichen, so scheint dies dennoch unausweichlich. Denn in der aktuellen Situation braucht der FC St.Gallen nicht Lob, sondern Punkte.