Spitzguuge

Heimrecht-Abtausch im Cup: Der Fussball-David soll Gastgeber sein

· Online seit 18.08.2021, 06:13 Uhr
Nach Widnau mit GC empfängt der FC Rorschach-Goldach mit dem FC Basel einen weiteren grosskalibrigen Super-League-Club im Schweizer Cup. Derweil erlebte der FC Münsingen im St.Galler Kybunpark ein Fussballfest. Ein Abtausch des Heimrechts soll aber die Ausnahme bleiben, schreibt Sportjournalist Dominic Ledergerber.
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Die 2600 Zuschauenden auf dem Sportplatz Aegeten staunten nicht schlecht, als der FC Widnau am vergangenen Sonntag gegen GC fast eine Stunde lang das 0:1 halten konnte. Und auch wenn der Schweizer Rekordmeister am Ende standesgemäss mit fünf Toren Unterschied gewann, waren auch die Spieler des interregionalen Zweitligisten irgendwie Sieger.

Der David hatte es mit dem Goliath aufgenommen, auf einem Sportplatz, der in der Super League niemals lizenziert würde. Und doch war die Kulisse eines Grasshopper Clubs würdig, trotz Badewetter, trotz der letzten Woche der Sommerferien und auch trotz dem Umstand, dass man getestet, geimpft oder genesen sein musste, um dem Spektakel beizuwohnen.

Es war ein Cup-Highlight auf dem Land, wie man sich das in diesem Wettbewerb wünscht und das Widnau-Präsident Kuno Jocham zu folgendem Schluss kommen liess: «Das Heimrecht abzutauschen stand für uns nicht zur Diskussion. Im Club und in der Region wären wir damit auf wenig Verständnis gestossen. Und ich denke, wir hätten auch im Letzigrund nicht mehr Zuschauer gehabt.»

85 Tonnen Material gegen YB

Anders entschied sich der FC Münsingen. Dem Club aus der 1. Liga Classic wurde Anfang Juli der diesjährige Cupfinalist FC St.Gallen zugelost – zu einem Zeitpunkt, als das finanzielle Risiko aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht abzuschätzen war.

Club-Präsident Andreas Zwahlen wandte sich deshalb an Espen-Pendant Matthias Hüppi, um das Heimrecht abzutauschen und die Partie im Kybunpark auszutragen. «Obwohl das nicht gerne gesehen ist und auch keine Schule machen soll, weil man sonst den Cup als Wettbewerb gefährdet», wie Zwahlen anfügt.

Der Münsinger Präsident weiss, wovon er spricht: Mit Basel, Sion und YB hatte der FCM schon mehrfach Besuch aus der Super League auf dem Sportplatz Sandreutenen. 2013 verlor er gegen den damaligen Meister Basel nur mit 0:1 und «aufgrund eines Penaltys, der keiner war», so Zwahlen.

Der Aufwand ist jedenfalls enorm: Als sich für das Achtelfinale 2017 die Young Boys ankündigten, wurden auf der Sandreutenen ganze 85 Tonnen (!) an Material aufgestellt. Man will sich gar nicht vorstellen, in welchen Schlamassel der FC Münsingen geraten wäre, hätte er gegen St.Gallen keine Zuschauer empfangen dürfen.

«Vielleicht hätten wir zu Hause nur 0:4 verloren»

Mit dem FCSG traf Münsingen indes auf einen sehr verständnisvollen Gegner. Den St.Gallern gelang es, ein Cup-Fest auf die Beine zu stellen, auch wenn der Fussball-David nicht Gastgeber war. So durften etwa Schülerinnen und Schüler mit ihren Familien gratis ans Spiel, was zur tollen Kulisse von fast 6700 Fans beitrug.

Und als nach einem diskussionslosen 0:5 die drei Cars des FC Münsingen die Rückreise ins Berner Mittelland unter die Räder nahmen, klatschten FCSG-Fans und sogar Ordnungshüter Beifall.

«Es war für alle Seiten ein Riesenerlebnis – auch wenn wir zu Hause vielleicht nur 0:4 verloren hätten», resümierte Münsingen-Präsident Andreas Zwahlen mit einem Schmunzeln.

Unverhältnismässiger Aufwand

Obwohl man in diesem Fall von einer Win-Win-Situation sprechen kann, bevorzugt der Schweizerische Fussballverband (SFV), wenn die Kleinen das Heimrecht nutzen. «Es ist der Reiz dieses Wettbewerbs, dass ein Drittligist in Fronarbeit noch eine zusätzliche Tribüne aufstellt. Zudem ist das Heimrecht auch immer ein sportlicher Vorteil», sagt SFV-Kommunikations-Chef Adrian Arnold.

In Zeiten von Covid sei es aber vernünftig, dass der Unterklassige das Heimrecht abtrete, wenn der Aufwand ansonsten unverhältnismässig wäre. «Wir freuen uns aber über jedes Spiel, wo Klein gegen Gross auf dem Land ausgetragen wird», so Arnold.

Kellen statt St.Jakob-Park

Das wird auch am Wochenende des 18./19. September der Fall sein, wenn der Ostschweizer Regionalmeister Rorschach-Goldach den FC Basel empfängt – auf der Sportanlage Kellen, die sich die Fussballer normalerweise mit Joggern, Street-Workoutern und Beachvolleyballern teilen.

«Anders als der FC Münsingen haben wir nun eine gewisse Planungssicherheit, weshalb es für uns keine Option war, im Basler St.Jakob-Park anzutreten», sagt Markus Hundsbichler, Präsident des FC Rorschach-Goldach.

Er hat zwar Respekt vor der Arbeit, die auf seinen Club warte, und natürlich auch vor der sportlichen Herausforderung. Trotzdem ist Hundsbichler überzeugt: «Ein Abtausch des Heimrechts sollte der ausgesprochene Ausnahmefall sein. Der Cup lebt von Fussballfesten auf dem Land. Sonst können die grossen Clubs auch gleich unter sich bleiben.»

veröffentlicht: 18. August 2021 06:13
aktualisiert: 18. August 2021 06:13
Quelle: FM1Today

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