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Kuhn, Leimgruber und Eichmann an der WM 1966 suspendiert

12.07.2020, 06:56 Uhr
· Online seit 12.07.2020, 04:35 Uhr
Es gibt einige skandalumwitterte Nächte im Schweizer Fussball mit überzogenem Zapfenstreich.
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Doch die mit Abstand berühmteste ist bis heute die «Nacht von Sheffield» an der WM 1966 in England mit Exponenten der Schweizer Nationalmannschaft.

Am Vorabend des ersten Schweizer WM-Spiels gegen den nachmaligen Finalisten Deutschland (0:5) vor 54 Jahren kam es zur viel zitierten Skandal-Nacht. Die Schweizer Verbandsführung hatte die Schweizer Journalisten vor Ort laut Zeitzeugen vergebens «buchstäblich auf Knien» angefleht, den Vorfall nicht aufzubauschen. Drei Spieler - Köbi Kuhn, Werner Leimgruber und Ersatzgoalie Leo Eichmann - waren erst um 23.30 Uhr, eine Stunde nach dem vereinbarten Zapfenstreich, ins Hotel zurückgekehrt.

Zum 50. Jahrestag der Geschehnisse hatte Goalie Eichmann den Ablauf der Nacht gegenüber der «Aargauer Zeitung» so geschildert: «Ich sass allein in der Lobby, war angefressen, weil mir Charly Elsener als Goalie vorgezogen wurde, obwohl er bei Lausanne Ersatz war und ich bei La Chaux-de-Fonds Stammgoalie und in Hochform. Da kamen Köbi Kuhn und Werner Leimgruber vorbei und sagten: ‹Komm Leo, machen wir noch einen kleinen Spaziergang.› Kaum waren wir draussen im Park, hielt ein Mini; Kuhn hatte irgendeine Geste gemacht. ‹Was wollt ihr?›, fragen die beiden Mädchen. ‹Eine kleine Stadtrundfahrt?› Schon sassen wir im Auto.»

Die Mädchen wollten ins Pub

Die Mädchen wollten in ein Pub, so Eichmann weiter, doch in den Trainingsanzügen sei dies nicht möglich gewesen. «Nach einer knappen Stunde fuhren wir wieder vor dem Hotel vor und gingen durch den Haupteingang nach drinnen. Ein paar von uns sassen noch da, auch Journalisten. Und Trainer Alfredo Foni wünschte uns eine gute Nacht. Am nächsten Morgen traf ich Captain Heinz Schneiter auf dem Korridor. ‹Leo, was habt ihr gemacht?›» Der «Blick» hatte bereits berichtet, dass drei Spieler vor dem Deutschland-Spiel mit «Girls» abgehauen seien. «Das war natürlich ein Skandal», schilderte Eichmann.

Es hätte stundenlange Diskussionen gegeben. Schliesslich wurden Kuhn, Leimgruber und Eichmann provisorisch suspendiert. «Die Geschichte kostete Köbi Kuhn den Transfer zur AC Milan. Wir wurden dann begnadigt und ich durfte noch gegen Argentinien spielen. Doch die WM war kaputt, die Stimmung nicht mehr zu retten und das Krisenmanagement des Verbandes ein Debakel.»

Laut Kuhn gab es seinerzeit «auch Probleme mit unseren Frauen daheim», die vom Vorfall erfahren hatten. «Ich rief meine Alice an und schilderte ihr ehrlich die Ereignisse der vergangenen Stunden. Sie glaubte mir, vor allem auch, weil Werner Leimgruber einer der solidesten und treuesten Ehemänner und Väter war und sie wusste, dass er niemals einen Seitensprung begehen würde», erzählte der im November verstorbene ehemalige Schweizer Captain und spätere Nationaltrainer gegenüber dem «Blick».

Trainer Kuhn hätte die Spieler in die Pflicht genommen

Die Geschichte zog so weite Kreise, dass Franz Beckenbauer, damals aufstrebender Weltklassespieler und in jener WM-Partie von 1966 gegen die Schweiz zweifacher Torschütze für Deutschland, Kuhn noch Jahrzehnte später auf die «Nacht von Sheffield» ansprach. Dass Deutschland die beiden jungen Frauen auf das Schweizer Team angesetzt hatte, blieb indes bloss eine spöttische Zuspitzung, die kolportiert wurde.

Die Schweiz schied nach weiteren Niederlagen gegen Spanien (1:2) und Argentinien (0:2) ohne Punkt und mit 1:9 Toren nach der Vorrunde aus. Der Verband schloss nach der WM das «fehlbare» Trio vorderhand aus dem Nationalteam aus. Die Spieler klagten daraufhin die Verbandsführung um den Präsidenten sowie den Generalsekretär wegen Ehrverletzung ein. Erst 1968 zogen die drei Spieler ihre Klagen zurück, worauf der Verband die drei Akteure begnadigte.

Kuhn hielt Jahrzehnte später dazu fest: «Vielleicht hat mich das Erlebnis später zu einem besseren oder zumindest souveräneren Coach gemacht.» Gegenüber der «NZZ» sprach er auch davon, dass er bei einem solchen Vorfall die Spieler sicher nicht einmal intern hätte sperren lassen. «Ich hätte sie aber beiseite und in die Pflicht genommen, dass sie nun auf dem Spielfeld etwas zurückgeben müssen.»

veröffentlicht: 12. Juli 2020 04:35
aktualisiert: 12. Juli 2020 06:56
Quelle: sda

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