Super League

Neuchâtel Xamax und der Abstieg mit Ankündigung

29.07.2020, 11:36 Uhr
· Online seit 29.07.2020, 11:35 Uhr
Ein Jahr nach der wundersamen Rettung in der 0:4-4:0-Barrage gegen den FC Aarau muss Neuchâtel Xamax den Weg zurück in die Challenge League antreten. Es hat sich schier abgezeichnet.
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In Neuenburg wird 2019 immer das Jahr des Wunders bleiben. Der 2. Juni 2019, die Geschehnisse im Brügglifeld in Aarau, bleiben im Gedächtnis jedes Xamaxiens. Man wird in Neuenburg immer davon sprechen. Es war ein Exploit, wie es in der rotschwarzen Klubgeschichte keinen zweiten gab, die Meistertitel 1987 und 1988 eingerechnet.

Und trotzdem: An jenem 2. Juni war die Relegation für die nachfolgende Saison vielleicht schon vorgezeichnet. Die Verfehlungen wurden nicht während der phantastischen Aufholjagd im Frühling begangen, sondern in den Wochen davor. Nämlich dann, als Trainer Stéphane Henchoz zu hören bekam, dass er nicht würde weiterfahren können, selbst wenn es ihm gelingen würde, Xamax in der Super League zu halten. Dann, als sich Xamax unter der Ägide von Präsident Christian Binggeli einen neuen strategischen Anzug verpasste: Man wollte mehr junge Spieler haben und einen Ausbildner als Trainer (Joël Magnin). Mit dem Modell wollte man dem FC Thun nacheifern. Heute sieht man, dass die Ideen nicht alt geworden sind.

Ein politisches Scheitern

«Das Scheitern ist ein sportliches, aber auch ein politisches.» Die Feststellung ist bitter und kommt von Laurent Walthert, dem Captain und Goalie. «Der Klub hat Entscheide getroffen. Das Xamax 2.0 sollte auf die Jungen setzen, und dies mit einem Staff, in dem keiner ausser Jörg Stiel vorher weiter oben als in der 1. Liga tätig war», sagte Walthert. «Die Ideen haben fehlgeschlagen. Das Xamax 2.0 war nicht stark genug. In der Winterpause gab es Verstärkungen, aber da was das Übel schon vorgezeichnet.» Die Kritik mag hart klingen, aber sie kommt von innen, von einem von zwei Spielern, die Xamax in den letzten Jahren eine Seele gegeben haben. Der zweite ist Raphaël Nuzzolo.

Jean-François Collet teilt die Kritik. Der Waadtländer kaufte im letzten Winter das gesamte Aktienpaket der Familie Binggeli, von Christian Binggeli und dessen Sohn Grégory. Collet wurde Besitzer, Binggeli blieb Präsident. «Wer hatte am Anfang der Saison gedacht, dass sich die Mannschaft in der Liga würde behaupten können?», fragt Collet rhetorisch. «Ein Ausbildungsklub zu werden war utopisch. Mit den Spielern, die vorhanden waren, war Xamax nicht konkurrenzfähig. In der Winterpause haben wir noch versucht, was möglich war, aber es hat für die Rettung nicht gereicht.»

Laurent Walthert drückte sich nicht weniger eindeutig aus: «Xamax hat wieder mit der letzten Dringlichkeit gearbeitet. Ich wusste seit dem Juni 2019, dass es kompliziert werden würde. Es war unser Ziel, uns irgendwie am Leben zu halten und bis am Schluss dranzubleiben, um dann wieder irgendwie oben zu bleiben. Aber es hat uns auf diesem Weg immer ein kleines Etwas gefehlt.»

Es wurde für Xamax eine Saison ohne klare Konturen und mit einem Abstieg, der sich nicht erst in den letzten Runden als unausweichlich erwies. «Man muss der Realität in die Augen schauen», sagt Walthert. «Wenn Xamax bis zur 34. Runde noch leise Hoffnungen haben konnte, so war es dank der schlechten Vorrunde von Thun (9 Punkte aus den ersten 18 Spielen). Das hat uns ermöglicht, daran zu glauben.»

Aber die Neuenburger waren nie eine Mannschaft auf Super-League-Niveau. Raphaël Nuzzolo würde jederzeit und überall seine Tore schiessen. Marcis Oss könnte mit seiner Robustheit auch für die Konkurrenz interessant werden. Mit den Verstärkungen Musa Araz und Xavier Kouassi wurde es ein wenig besser. Léo Seydoux, von den Young Boys ausgeliehen, war der einzige Erfolg der missglückten Politik. Und der Rest? Es sind bestenfalls Ergänzungsspieler. Spieler, die sich auf diesem Niveau nie durchsetzen dürften.

Gehen, um zurückzukommen?

Neuchâtel Xamax wird seinen künftigen Weg mit Stéphane Henchoz gehen. Er bleibt der Trainer, auch wenn er diesmal mit einer schier unmöglichen Mission gescheitert ist. Er hatte am 5. Juli von Joël Magnin übernommen, als nur noch acht Runden zu spielen waren und die Mannschaft längst in einer misslichen Lage war. Auch Jean-François Collet wird weitermachen. Er misst den Resultaten mehr Gewicht bei als den Vorhaben der Totgeburt Xamax 2.0. Dass man Joël Magnin derart spät abgelöst hat, versteht Collet nicht. «Ich hätte ihn schon vor der Wiederaufnahme der Meisterschaft ersetzt.»

Collet, der Patron, gibt sich keinen Illusionen hin. Es dürfte schwierig werden, sofort wieder aufzusteigen. «Für ein solides Projekt müssen wir von der Ausbildung ausgehen. Aber es braucht Zeit, bis Xamax dauerhaft ein Ausbildungsklub wird und wir die besten Jungen verkaufen können. Wir benötigen Zwischenlösungen. Wir werden eine möglichst taugliche Mannschaft stellen, aber wir müssen ehrlich sein: Wir können nicht von einem sicheren Wiederaufstieg sprechen.»

veröffentlicht: 29. Juli 2020 11:35
aktualisiert: 29. Juli 2020 11:36
Quelle: sda

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