Lara Gut-Behrami, vor einem Jahr gaben Sie in Lake Louise Ihr Comeback nach dem Kreuzbandriss im linken Knie und blickten auf eine schwierige Zeit zurück. Seither hat sich viel getan in Ihrem Leben. Warum ist es Ihnen wichtig, im Weltcup nun mit Lara Gut-Behrami angesprochen zu werden?
«Mir wurde bewusst, dass sonst etwas fehlt. Ich bin nicht mehr Lara Gut. Ich bin die Tochter meiner Eltern und gleichzeitig stolz auf die Heirat. Und darum will ich so, mit dem Doppelnamen, am Start stehen.»
Sie sagen, früher habe sich bei Ihnen alles ums Gewinnen gedreht. Wie ist es gelungen, sich aus diesem Hamsterrad zu befreien?
«Erstens hat mich die Verletzung daraus herausgerissen, und zweitens habe ich in Valon jemanden gefunden, der mir zeigte, dass es noch anderes gibt. Er hat mir geholfen, mich zu verändern, mich weiterzuentwickeln und mich auch besser zu verstehen. Dank ihm wurde mir bewusst, dass ich das Skifahren zwar liebe, dass es aber viel mehr gibt als das. Durch ihn merkte ich, dass ich mich selbst eingeschränkt habe und meine Zufriedenheit nur vom Siegen abhing.»
Ihnen fehlte der Ausgleich?
«Rückblickend realisiere ich, dass ich mich in einem Tunnel befunden habe. Ich war einzig auf den Erfolg fokussiert. In alles andere wollte ich keine Energie investieren, dabei hätte mir das geholfen. Irgendwann reicht es nicht mehr, im Sport gut zu sein, um als Mensch glücklich zu sein. Je erwachsener ich wurde, desto grösser wurde das Bedürfnis nach anderem. Auch als Athlet geht es dir dann gut, wenn es dir als Mensch gut geht.»
Brauchte es diesen Sturz beim Einfahren zur WM-Kombination in St. Moritz Anfang 2017, um das zu realisieren?
«Wahrscheinlich schon. Ich war so fokussiert, dass ich es nicht merkte. Die Verletzung stellte sich als Chance heraus, dank ihr machte ich menschlich einen riesigen Schritt vorwärts. Nun kann ich ein schlechtes Rennen leichter abhaken. Das merkte ich auch in den beiden Riesenslaloms dieser Saison, die nicht nach Wunsch liefen. Ich brauche jetzt weniger Zeit, um mir bewusst zu machen, was für ein Glück ich habe mit meinem Leben. Auch weiss ich, dass Leidenschaft und Arbeit mich wieder zum Erfolg führen werden.»
Waren Sie zu verbissen?
«Ab und zu schon. Es fehlte mir die Lockerheit. Ich erkannte nicht, dass es okay ist zu scheitern, solange ich alles versucht habe. Jetzt denke ich: Ein Sieg weniger ist mir lieber, wenn ich dafür meine Karriere geniessen und mein Leben mit der Familie und dem Ehemann teilen kann. Es gibt Wichtigeres als Siege. Heute geht es mir bedeutend besser als vor einem Jahr. Damals kam ich aus einer schwierigen Zeit nach Lake Louise, speziell in den Monaten bis zur Verletzung hatte ich zu kämpfen. Ich freue mich richtig, dass sich vieles in meinem Leben zum Guten entwickelt hat und dass ich Skifahren darf. Ich empfinde meine aktuelle Situation als grosses Glück.»
Als Skirennfahrerin muss man Risiken eingehen. Wie beeinflusst die neue Sichtweise Ihre Risikobereitschaft?
«Überhaupt nicht. Ich will immer noch gewinnen, bin erfahren und kenne die Strecken. Ich habe einfach mehr Freude und will die Momente noch intensiver ausleben.»
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie mit Valon Behrami zusammen sind?
«Völlig, zum Glück. Wir sind jetzt zu zweit, und Valon hat zwei Töchter (Isabel, 9, und Sofia, 2 - die Red.), für die wir beide das Beste wollen. Sie kamen für mich aus dem Nichts, aber es fühlt sich wie meine eigene Familie an. In Valon fand ich einen Menschen, der viel Ähnliches erlebt hat wie ich. Einen, der mich spürt und der mir die Kraft gibt, mich zu wehren. Er sagt mir: ‹Sag, was du fühlst, ohne dieses Wenn und Aber. Hau wenn nötig die Faust auf den Tisch.› Früher wollte ich es allen recht machen. Dabei plagte mich ständig das Gefühl, es doch nicht zu schaffen. Wenn jemand rot hören wollte, getraute ich mich nicht weiss zu sagen, und wenn jemand weiss hören wollte, hatte ich das Gefühl, ich dürfe nicht schwarz sagen.»
Und heute?
«Wenn meine innere Stimme jetzt weiss sagt, dann sage ich weiss. Die, die anders denken, müssen meine Meinung akzeptieren. Diese Herangehensweise macht es mir viel leichter. Die Dinge beschäftigen mich nicht mehr über Tage hinweg. Dass ich nicht happy bin, wenn ich Zweite bin, ist klar. Jeder gewinnt lieber.»
Konnten Sie die bisherigen Rennen der Saison mehr geniessen als früher?
«Ganz anders war es nicht. Ich spürte einfach, dass ich wieder mehr Freude hatte, dass ich glücklich bin, auch wenn es nicht nach Wunsch lief. Letzte Saison war der Riesenslalom ein einziger Kampf. Die Ergebnisse stimmten nicht. Aus der Krise kommst du nur, wenn du die Situation akzeptierst und hart arbeitest. Ich weiss, dass ich es nicht verlernt habe und eine neue Chance erhalte.»
Was brachte sie dazu, sich aus den sozialen Medien zurückzuziehen?
«Ich sprach viel mit Valon darüber. Dabei reifte die Erkenntnis, dass zu viel im Leben online stattfand. Ich war ständig auf der Suche nach Sachen, die ich dort noch tun konnte, sass zu oft am Handy. Dabei vergass ich zu schätzen, was ich im richtigen Leben habe: einen Mann, den ich unendlich liebe und eine unglaubliche Familie. Ich will die Zeit nutzen, das zu geniessen. Mir hatten zuvor schon viele gesagt, dass es Blödsinn ist, so viel online zu sein, und ich wusste es auch selbst. Aber ich war lange zu stur. Jetzt bin ich endlich konsequent.»