Sport ist auch deshalb so faszinierend, weil es manchmal wenig braucht, bis das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurückkehrt. Das beste Beispiel hierfür sind aktuell die Lions. In der zweiten Partie im Viertelfinal gegen Zug verspielten sie im letzten Drittel eine 4:1-Führung und hätten kurz vor Schluss beinahe noch das 4:5 kassiert. Stattdessen brachte ein abgelenkter Verzweiflungsschuss von PostFinance-Topskorer Fredrik Pettersson das 1:1 in der Serie. Seither läuft die Maschinerie der Stadtzürcher, rufen sie nach einer missglückten Qualifikation ihr unbestrittenes Potenzial ab.
«Die Spieler haben gemerkt, dass sie hart arbeiten müssen. Es wird nun mehr gerumpelt», brachte es ZSC-Sportchef Sven Leuenberger auf den Punkt. Gerade auch das Boxplay, in dem eine grosse Opferbereitschaft notwendig ist, widerspiegelt die «neuen» Lions. Gegen Bern, das eigentlich über ein sehr starkes Powerplay verfügt, gelang dem ZSC bereits der dritte Shorthander in den laufenden Playoffs. Und auch das 2:1 von Pettersson in der 13. Minute, das unmittelbar nach Ablauf einer Strafe fiel, war quasi einer - in der gesamten Qualifikation hatten die Lions bloss einen Treffer in Unterzahl erzielt.
«Unsere Stürmer versuchen, so gut wie möglich die Schusslinie zu nehmen», erklärte der Ende Saison zurücktretende Routinier Mathias Seger das Erfolgsrezept. So werden die gegnerischen Spieler an der blauen Linie enorm unter Druck gesetzt. Auffallend ist auch, dass Trainer Hans Kossmann die Last in Unterzahl auf viele Schultern verteilt. «In einem guten Boxplay muss man viel Energie aufbringen. Das kannst du nur mit vielen Spielern», sagte der Kanada-Schweizer, der nach dieser Saison durch Serge Aubin ersetzt wird. «Es ist immer gut, wenn man ein Tor in Unterzahl schiesst. Das macht das (gegnerische) Powerplay etwas nervös, und das ist, glaube ich, nötig.» Allerdings müssten sie die Strafen reduzieren.
Von Euphorie nach dem wichtigen Auswärtssieg war beim ZSC nichts zu spüren. «Wir konnten das Glück erzwingen. Es hätte auch auf die andere Seite kippen können», so Seger. Der WM-Rekordteilnehmer ist sich bewusst, dass es schnell auch wieder in die andere Richtung gehen kann. «Wenn wir nur ein wenig nachlässig werden, kann der Knopf sofort wieder zugehen, und wir stehen wieder am gleichen Ort wie vorher. Darum ist es extrem wichtig, dass wir noch härter arbeiten und noch besser spielen. Wir erwarten am Donnerstag einen stärkeren SC Bern. Ohnehin haben wir uns auf eine lange Serie eingestellt. Es wird an die Kraftreserven gehen.»
Tatsächlich ist nicht zu erwarten, dass diese Niederlage den SCB aus der Bahn werfen wird. Vor einem Jahr gerieten die Berner im Halbfinal gegen Lugano ebenfalls mit 0:1 in Rückstand, ehe sie viermal hintereinander gewannen. Nach den beiden Niederlagen im Final gegen Zug zum 2:2 in der Serie reagierten sie mit zwei deutlichen Siegen (6:1 und 5:1). «Herausforderungen sind da, um sie anzunehmen», sagte SCB-Verteidiger Eric Blum. Die starke Leistung der Gäste war für ihn keine Überraschung. «Das hatten wir erwartet. Sie sind brandgefährlich».
Da es die Berner dem ZSC bei sämtlichen Gegentoren zu einfach gemacht haben, ist Simon Bodenmann «mehr als zuversichtlich, dass wir zurückkommen». Nebst den Fehlern sieht er bei den Zweikämpfen die grössten Steigerungmöglichkeiten. «Wir konnten den Puck in der offensive Zone viel zu wenig ausgraben», so Bodenmann, der ab der nächsten Saison für die Lions tätig ist. Auch ZSC-Trainer Kossmann rechnet mit einer Reaktion der Berner: «Sie haben viel Selbstvertrauen, sind gewohnt, zu gewinnen. Das müssen wir wettmachen mit Einstellung und Disziplin.»