Ski alpin

Beat Feuz wird vom Grossen zum ganz Grossen

· Online seit 07.02.2022, 14:39 Uhr
Ein ohnehin schon Grosser ist nun ein ganz Grosser. Beat Feuz vollendet mit dem Olympiasieg in der Abfahrt das Werk einer aussergewöhnlichen Karriere.
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Der Tag X war da, mit 24 Stunden Verzögerung nach der Absage wegen zu starkem Wind. Ein weiterer dieser Tage war da, an denen es gilt, bereit zu sein, die optimale Leistung abzurufen. Feuz war schon oft bereit - und er war es auch diesmal.

Er fuhr so, wie er sich das vorgestellt und wie er das in den Tagen zuvor geplant hatte. Es war nicht bloss eine Fahrt. Es war ein Kunstwerk, das Feuz am Berg Xiaohaituo in den Kunstschnee zauberte. Auf einer Piste ohne Schlüsselstellen, die keine Fehler verzeiht, blieb er makellos.

Ein Kunststück ohne Makel war Feuz ein erstes Mal in diesem Winter vor zwei Wochen bei seinem Sieg in der zweiten Abfahrt in Kitzbühel gelungen. Erstmals seit einem Jahr war er wieder ganz oben gestanden und hatte damit eine unangenehme Phase beendet, in der Zweifel an ihn herangetragen wurden. Ein Ausfall und ein 8. Platz hatten genügt, um die Frage nach seiner Konkurrenzfähigkeit in den Raum zu stellen.

«Die fehlerlose Leistung auf der Streif war enorm wichtig. Noch wichtiger aber war, dass ich in Kitzbühel schmerzfrei am Start war.» Seit den Rennen in Gröden fünf Wochen zuvor hatte ihm das linke Knie wieder Probleme bereitet. Es hatte ihm auch in Bormio und in Wengen zu schaffen gemacht.

Die besondere Leidensgeschichte

Das linke Knie - eine Leidensgeschichte sondergleichen, die ihren Ursprung in einem im Herbst vor gut 14 Jahren erlittenen Kreuzbandriss hatte. Feuz, im Frühling zuvor an der Junioren-WM mit dreimal Gold und einmal Bronze der grosse Abräumer, hatte sich die Verletzung im Abfahrtstraining in Zermatt ohne zu stürzen zugezogen. Weitere gesundheitliche Rückschläge hielten ihn in den folgenden zwei Wintern vom Rennbetrieb fern.

Die schwere Verletzung wurde zur Hypothek, die Feuz während Jahren belasten sollte, die ihm aber nie den Glauben an eine Zukunft im Skirennsport rauben konnte. Als der Hochtalentierte vor zehn Jahren den Sieg im Gesamtweltcup nach einem dramatischen Duell gegen Marcel Hirscher nur ganz knapp verpasste, schien die Wende zum Guten eingeleitet.

Es war ein Trugschluss. Sechs Monate später kam es knüppeldick. Eine Entzündung im linken Knie machte Feuz wieder zum Langzeit-Patienten. Erneut musste er während einer gesamten Saison aussetzen. Was aber noch viel schlimmer war: Die Ärzte machten ihm trotz weiterer Spitalaufenthalte und neuerlicher Operationen wenig Hoffnung. Die Rückkehr auf die Rennpiste schlossen sie aus, ja sie machten sogar eine Amputation oder eine Versteifung des Knies zum Thema.

Doch Feuz wollte das Schicksal nicht akzeptieren. Das Ski-Genie wurde zum Kämpfer. Feuz nahm die Strapazen auf sich und betrachtete jeden noch so kleinen Fortschritt als Zeichen für den möglichen Weg zurück. Und Feuz kehrte zurück - und mit ihm das grosse Talent, das dem Schweizer Skirennsport so gut tut.

Der besondere Glanz

Das grosse Talent ist längst zu einem der Allerbesten seiner Zunft geworden, vielleicht zum Besten überhaupt. Mit dem Coup am Montag in Yanqing hat Feuz sein schon zuvor beeindruckendes Palmares mit dem letzten fehlenden Superlativ komplettiert. Es sind nicht nur diese Goldmedaille oder der vor fünf Jahren in St. Moritz errungene WM-Titel, der Gewinn der Weltcup-Abfahrtswertung in den letzten vier Wintern oder die Siege in den Klassikern in Wengen und Kitzbühel, die dem Werk von Feuz einen besonderen Glanz verleihen.

Es ist vor allem auch die Konstanz, die verblüfft - und mit der Feuz sich selber erstaunt, und die er sich selber nicht mehr zugetraut hat. Das anhaltend hohe Niveau hat ihm mittlerweile auch zu Bestmarken in Weltcup-Abfahrten verholfen. Seine 45 Podestplätze bedeuten ebenso Rekord wie die Serie von 36 Klassierungen unter den ersten zehn. Es sind Leistungen, die mit der Knie-Geschichte im Hintergrund in noch grellerem Licht erstrahlen.

Das hohe Niveau über einen längeren Zeitraum schien für Feuz noch vor wenigen Jahren nicht mehr möglich. Er hatte deshalb von einem der Situation mit dem linken Knie angepassten Einsatzplan beziehungsweise von der Konzentration auf ausgesuchte Rennen gesprochen. Dass er von diesem Ansinnen wieder abkam, verdankte er auch seinem ehemaligen Trainer Andy Evers. Der während zwei Saisons für Swiss-Ski tätige Österreicher konnte Feuz davon überzeugen, dass die Beschränkung auf auserlesene Rennen dem Verschleudern von Talent gleichgekommen wäre.

Aussergewöhnliche Aufgaben gibt es für Feuz auch bei vollem Rennprogramm. Wie am Montag, an diesem perfekt verlaufenen Tag X in Yanqing.

veröffentlicht: 7. Februar 2022 14:39
aktualisiert: 7. Februar 2022 14:39
Quelle: sda

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