So scheisse im FIFA bin ich gar nicht

· Online seit 21.04.2017, 18:11 Uhr
Am Mittwoch durfte ich das erste Mal mit den Top-Spielern der eSports-Abteilung des FC St.Gallen mittrainieren. Ein Bericht über Männlichkeit, Nervosität und eine gar nicht so demütigende Niederlage.
Sandro Zulian
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Es ist Sonntagmorgen. Verkatert schäle ich mich aus der warmen Behaglichkeit meines Bettes und tapse vorsichtig in Richtung Küche. Gestärkt mit Kaffee und einer Scheibe Brot finde ich den Weg ins Wohnzimmer. Entgegen meiner Hoffnung, niemanden antreffen zu müssen, sitzt bereits mein Mitbewohner auf der Couch und spielt FIFA. «Machemer no ein?», höre ich mich fragen. «Fix» ist seine Antwort.

So beginnt ein Wochenendtag im Leben eines gelegentlichen FIFA-Zockers. Man addiere ein paar Stunden, stelle Bierdosen auf den Salontisch - et voila: Ein Wochenendabend im Leben eines gelegentlichen FIFA-Zockers. Doch diese meine Vorstellung sollte bald gründlich durchgeschüttelt werden. Und zwar von Sandro, Bruno und Thomas. Die eSport-Athleten des FC St.Gallen.

Typisch Athleten, auch neben dem Platz

Mittwochabend, 19 Uhr. Ich finde mich beim FCSG-VIP-Eingang in der Tiefgarage des Kybunparks ein. Bald gesellt sich Pascal Signer, Leiter eSport beim FC St.Gallen zu mir. Ein paar Minuten später treffen auch eSport-Trainer Thomas Temperli und Spieler Bruno «Brunisco» Bardelas ein. Es fehlt nur noch Sandro «Neysk11L» Poschinger. «Wir arbeiten derzeit noch an seiner Pünktlichkeit», sagt Pascal Signer lachend. Ich versuche, den eSportlern klar zu machen, dass ich ‹im Fall› nicht so gut bin im FIFA-Spielen. Sie lächeln mich mitleidig an. Bruno sagt: «Du hast ja noch ein bisschen Zeit.» Als Sandro Poschinger endlich eintrifft, betreten wir den Lift und finden uns bald in einem düsteren Raum mit etlichen Fernsehern, bequemen Stühlen und Sofas wieder. Die Game-Höhle des FC St.Gallen.

Mehrere Controller sind schon zu Bruch gegangen

Wir beginnen mit ein paar Interviews mit den eSport-Athleten. «Klar, bei mir sind schon etliche Controller zu Bruch gegangen», gibt Bruno «Brunisco» Bardelas ohne Umschweife zu. Der 24-jährige FIFA-Zocker hat ein lustiges Gemüt. Doch auch dieses sei - FIFA geschuldet - auch schon verschwunden. «Ich bin eigentlich ein sehr fairer Spieler. Wenn jemand unter meinen seltenen Wutausbrüchen leiden muss, dann ist es der Controller», sagt Bardelas und lacht. Eine Gemeinsamkeit mit einem gelegentlichen FIFA-Spieler. Auch meine Controller mussten schon gewisse Ausflüge in die Ecke des Wohnzimmers hinnehmen. «Darf ich dich im FIFA fertig machen?», frage ich Bruno. Er lacht: «Das wird schwer, ich bezweifle, dass du das schaffst.» Auch mein letzter Versuch, mit intakter Ehre aus dem Stadion zu kommen, scheitert: «Nein, ich verliere bestimmt nicht willentlich gegen dich! Ich will jedes Spiel gewinnen, auch die Freundschaftsspiele», sagt Bruno. Ich werde nervös.

Zocken ist nicht gleich zocken

Thomas «Janthana» Temperli, der Trainer der eSport-Jungs beim FC St.Gallen zeigt mir den heiligen Gral der FIFA-Zock-Kunst. «Eine gute Aufstellung und Taktik ist das A und O eines jeden FIFA-Games», klärt er mich auf. «Hier kannst du viel rausholen.» Bevor das Spiel überhaupt los geht, erklärt Temperli verschiedene Taktik-Einstellungen, wie Pressing, Angriffsgeschwindigkeit, Spielerverhalten bei Chancenerarbeitungen und und und. Features, von deren Existenz ich gar nichts wusste. Auch die Kameraeinstellung muss geändert werden. «Wenn du auf Zoom 3 spielst, siehst du fast das ganze Spielfeld. Du weisst genau, wo sich deine Mitspieler aufhalten und musst nicht ständig blind passen oder dich auf das Radar am unteren Ende des Screens verlassen.» Ziemlich clever, wie ich finde. Eine gute halbe Stunde lang erklärt mir der eSports-Coach, was wo wann wichtig ist. Mein Kopf raucht. Ich wollte doch eigentlich nur zocken.

Spiel gegen den Trainer

Dann gilt es ernst: Mein erstes eSport-Spiel. Ich wähle mir den BVB als Team aus. Thomas entscheidet sich selbstverständlich für den FC St.Gallen. Hier muss gesagt sein, dass alle Spieler gleich stark sind: Aubameyang hat 85 Punkte, Ajeti auch. Realistisch geht anders, aber mir soll's recht sein. Wie zu erwarten ist Thomas «Janthana» Temperli ein «Dribbler». L2-Taste praktisch ständig gedrückt, wieselt er sich seinen Weg um meine Verteidigung. Wie ich diese Dribbler hasse. Als gelegentlicher FIFA-Spieler halte ich die R2-Taste für gewöhnlich gedrückt. Das ist die Sprinten-Taste. Amateur, halt. Thomas findet seinen langsamen, wirbelnden Dribbel-Weg in meinen Sechzehner. Routiniert, wie ich (warum auch immer) in der Defensive bin, nehme ich ihm den Ball per O-Taste (weiches Tackling) ab. Prompt pfeift der Schiedsrichter zum Elfmeter. War ja klar. Was für ein Scheiss-Spiel. Wie zu erwarten, versenkt Temperli den Elfmeter sauber in der Ecke.

Das digitale FM1Today-FIFA-Debakel nimmt seinen Lauf. Ich mache das, was jeder Amateur-FIFA-Zocker in Rückstand macht: Mit dem linken Steuerkreuz stelle ich meine Mannschaft auf «totaler Angriff» und warte erst einmal ein paar Minuten, um endlich wieder in Ballbesitz zu kommen. Ich renne ungezählte Male gegen «Janthanas» Verteidigung an und kreiere einige ernstzunehmende Chancen. Doch nach 90 Minuten muss ich meine erste Profi-Niederlage hinnehmen. FC St.Gallen eSports: Eins. FM1Today eSports: Null.

Und doch: Mit diesem Resultat kann ich fast schon ein wenig angeben. Versprochen: Nächsten Mittwoch heult einer. Wer es sein wird, weiss ich noch nicht. Ich muss jetzt trainieren.

(saz)

 

veröffentlicht: 21. April 2017 18:11
aktualisiert: 21. April 2017 18:11

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