ATP Finals

Federers Jahr der verpassten Chancen

18.11.2019, 12:09 Uhr
· Online seit 18.11.2019, 11:50 Uhr
Das Ende von Roger Federers Tennisjahr 2019 mit der Halbfinal-Niederlage an den ATP Finals gegen Stefanos Tsitsipas ist irgendwie typisch. Es wird als das «unvollendete» in die Geschichte eingehen.
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Mit 38 Jahren ist Roger Federer noch immer der drittbeste Tennisspieler der Welt. Er hat in diesem Jahr auch die beiden vor ihm liegenden Rafael Nadal (in Wimbledon) und Novak Djokovic (an den ATP Finals) geschlagen. An herausragenden Tagen kann Federer noch immer so gut Tennis spielen wie kein anderer. Doch diese Tage werden seltener und die Marge kleiner. «Es ist nicht mehr so einfach wie vor 10, 15 Jahren, tagaus tagein sehr gut zu spielen», stellte er nach der Niederlage gegen Tsitsipas nüchtern fest. «Die Dinge sind etwas komplizierter. Ich muss es noch besser schaffen, diese Momente richtig anzugehen.»

Wimbledon als Höhe- und Tiefpunkt

Das gelang zu oft nicht. 2019 wird als das Jahr des «was wäre, wenn» in Erinnerung bleiben. Es war für Federer eine sehr gute Saison mit vielen Höhepunkten: der Meilenstein mit dem 100. Turniersieg in Dubai, das fast perfekte Sunshine-Double mit dem Final in Indian Wells und dem Masters-1000-Titel in Miami, der Sieg am Hopman Cup mit Belinda Bencic und am Laver Cup zuhause in Genf, der emotionale zehnte Triumph an den Swiss Indoors. Ein Spiel sticht heraus and hätte dem Jahr noch den Glanz geben können, der nun fehlt. «Wimbledon war Highlight und Tiefpunkt zugleich», blickte Federer zurück.

Im Südwesten Londons trumpfte er im Juli auf wie lange nicht mehr. Der Weg in den Final war alles andere als einfach. Im Viertelfinal schaltete Federer einen starken Kei Nishikori aus, im Halbfinal brillierte er gegen Rafael Nadal und revanchierte sich für die logische Niederlage im Halbfinal von Roland Garros. Bis zum Ende des Jahres verlor der Spanier nur noch ein weiteres Spiel (an den ATP Finals gegen Alexander Zverev). Und im Final stand er gegen einen starken Djokovic bei eigenem Service einen Punkt vor dem neunten Wimbledon-Titel. Er verlor schliesslich im ersten Tiebreak beim Stand von 12:12. Spielerisch musste sich Federer gar nichts vorwerfen, aber es gelang ihm nicht, diesen entscheidenden Punkt zu gewinnen.

Ähnlich verlor er im Final in Indian Wells und im Viertelfinal in Madrid auf Sand nach starken Leistungen gegen Dominic Thiem. Dazu kommt die Niederlage gegen Tsitsipas am Australian Open, als er von zwölf Breakchancen keine einzige nützen konnte, die Fünfsatz-Niederlage am US Open gegen Grigor Dimitrov oder eben jetzt das Halbfinal-Aus an den ATP Finals erneut gegen Tsitsipas, als er von zwölf Breakmöglichkeiten nur eine zu verwerten vermochte.

Federer ist weiterhin in der Lage, grosse Turniere zu gewinnen, und das ist in seinem Alter erstaunlich genug. Doch es muss zunehmend alles zusammenpassen, die äusseren Bedingungen, der Weg in den Final und vor allem eben das Nützen von Chancen. Er weiss, dass sein verbleibendes Zeitfenster immer kleiner wird. Das trägt mutmasslich dazu bei, dass er sich in diesen wichtigen Momenten etwas verkrampft. Er ist sich bewusst: Die Chance kommt vielleicht nicht wieder. «Ich habe in diesem Jahr einige solcher Chancen verpasst», war sich der Schweizer in London bewusst. «Das muss ich nächstes Jahr besser machen.»

Ungebrochene Motivation

Das zeigt: An ein Zurückstecken denkt er vorerst nicht. Federer hat in diesem Jahr mehr Partien bestritten als 2017 oder 2018. Erstmals kehrte er auf Sand zurück - und dies verblüffend stark. Er verlor einzig gegen die beiden überragenden Sandspieler der letzten Jahre, Thiem und Nadal. Auch im nächsten Jahr mutet er sich einen vollen Kalender mit den Olympischen Spielen in Tokio als zusätzlichen Fixpunkt zu. Physisch kannte er in diesem Jahr kaum Probleme. Deshalb mutet er sich nun noch eine Exhibition-Tour nach Südamerika mit fünf Spielen in fünf verschiedenen Ländern in sechs Tagen zu.

«Ich freue mich bereits auf die nächste Saison», betonte Federer nach seinem letzten Ernstkampf der aktuellen Saison. Weitere grosse Triumphe scheinen möglich, eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Zum einen sind Djokovic und Nadal so stark wie immer, zum anderen sind die jungen Wilden wie Tsitsipas, Thiem, Zverev oder Medwedew deutlich näher gerückt. Noch wehrt sich Federer gegen die Wachablösung, doch wie er selber sagt: «Die Marge ist klein geworden.»

veröffentlicht: 18. November 2019 11:50
aktualisiert: 18. November 2019 12:09
Quelle: sda

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