Suter: «Es fehlt die Breite und die Routine»

03.01.2018, 11:02 Uhr
· Online seit 03.01.2018, 10:48 Uhr
Der Handball-Nationaltrainer Michael Suter zieht vor dem ersten Spiel der WM-Qualifikation vom Mittwoch in Estland eine Zwischenbilanz seiner Amtstätigkeit. Michael Suter, Sie stehen in Ihrer zweiten Saison als Nationaltrainer.
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Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der Mannschaft?

«Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden, im Wissen, dass man im Sport nie zufrieden sein darf. Es gilt ständig, die nächsten Aufgaben in Angriff zu nehmen. In dieser Saison arbeiteten wir mit den Spielern noch intensiver im athletischen Bereich, um die Defizite auszumerzen. Luca Maros und andere erhalten zum Beispiel einen Personal Coach als Betreuung. Die Krux ist, dass ich wegen der vielen Verletzten in keinem Lehrgang die gleichen Spieler habe. Wir verfügen sowohl körperlich als auch mental noch nicht über die notwendige Robustheit. Daran müssen wir in der Zukunft arbeiten. Das Konzept steht jedoch. Die Spieler glauben daran, sind voll bei der Sache und wollen weiterkommen.»

Worauf führen Sie die vielen Verletzten zurück? Ist das einfach nur Pech?

«Handball ist ein Kontaktsport, da gibt es immer Verletzte. Es ist allerdings eine Frage der Häufigkeit, und diese ist bei uns zu gross. Die wirklichen Weltklasse-Spieler sind nicht so oft verletzt.»

Was wird diesbezüglich gemacht?

«Wir versuchen beispielsweise, dem propriozeptiven Training (zur Verbesserung des Körperempfindens und der Bewegungswahrnehmung, die Red.) noch mehr Bedeutung zu geben. Wir gehen nun auch noch mehr auf die Vereine zu, denn es hat überall gute Leute, die in unserem Staff mitwirken können. Ziel ist, dass die Spieler bei Verein und Nationalmannschaft ähnlich intensiv betreut werden. Wir versuchen in allen Bereichen ein paar Prozente herauszuholen. Mir ist klar, dass es uns nicht gelingen wird, die ganze Schweiz zu professionalisieren. Das ist unrealistisch, wobei ich klarstellen möchte, dass es viele Vereine gibt, die gute Arbeit leisten. Mir geht es jedoch darum, jenen 12 bis 14 Spielern, die mit mir den Weg konsequent über Jahre gehen wollen, optimale Bedingungen zu verschaffen. Mein Traum wäre, wenn es 20 Spieler wären. Ich werde nie aus einem Pool von 80, 100 oder noch mehr Spielern auswählen können, wie das in vielen anderen Nationen der Fall ist.»

Ermutigen Sie die Spieler ins Ausland zu gehen?

«Ich stehe zum dualen Weg. Schweizer Topverein oder gute Adresse im Ausland, beides kann funktionieren. Jeder Spieler hat einen anderen Charakter und andere Voraussetzungen. Klar ist, dass jeder im Ausland wichtige Erfahrungen sammeln kann. Die Frage ist, was Sinn macht. Schlussendlich brauchen die Spieler ein gutes, individuelles und korrigierendes Training. Auch unsere grössten Talente sind noch nicht fertig ausgebildet. Es gibt so viele Sachen, die noch zu verbessern sind. Ein Verbleib in der Schweiz macht aber nur dann Sinn, wenn der Verein internationale Ansprüche hat. Nur national zu spielen, geht nicht.»

Sie legten mit dem starken Auftritt im Hallenstadion gegen Europameister Deutschland (22:23) und dem Sieg am Yellow-Cup vor einem Jahr einen fantastischen Start hin. Glauben Sie, dass die Erwartungen dadurch in unrealistische Höhen stiegen?

«Ja. Nach dem Spiel gegen Deutschland hätte man denken können, dass wir ab nun alle anderen schlagen werden. Das sind gefährliche Geschichten. Vielleicht wurden wir zu Beginn etwas unterschätzt. Es war aber ein wichtiges Zeichen. Im Hallenstadion, vor dieser Kulisse zu bestehen, ist etwas, das die Jungs im Rucksack mitnehmen. Ohnehin ist nicht alles schwarz oder weiss.»

Andy Schmid, der mit Abstand beste Schweizer Handballer, steht derzeit aufgrund der hohen Belastung nicht zur Verfügung. Wie schwierig ist das für Sie?

«Ohne ihn ist es eine andere Ausgangslage, auch für die Gegner, die sich anders vorbereiten. Die Last ist nun auf mehrere Schultern verteilt. Ich habe ohnehin den Auftrag, eines Tages ein Team ohne Andy zu formen. Aber natürlich kann kein Trainer auf der Welt auf einen solchen Spieler verzichten. Er kann in jedem Spiel den Unterschied ausmachen und ist für jeden ein Vorbild. Es ist abartig, was er bei den Rhein-Neckar Löwen leistet, und darum habe ich volles Verständnis dafür, dass er Zeit zur Regeneration braucht. Ich bin schon froh, dass er uns teilweise zur Verfügung stand. Dadurch sahen die Jungs, wie er an das Ganze herangeht. Ausserdem bin ich keiner, der sich über die Umstände beklagen will. Ich arbeite mit denjenigen, die mir zur Verfügung stehen.»

Was fehlt, um wieder regelmässig an grossen Turnieren dabei zu sein?

«Es fehlt die Breite im Kader und die Routine. Letztere ist in unserem Sport eminent wichtig und können wir noch gar nicht haben. Deshalb braucht es Geduld. Das Ziel muss sein, dass die aktuellen Spieler ein Jahrzehnt zusammenbleiben. Es ist unsere Hauptaufgabe, in allen möglichen Bereichen Voraussetzungen zu schaffen, diese Spieler zu halten, damit sie nicht in zwei, drei Jahren abspringen. Ich glaube jedoch an diese Generation. Die Spieler haben es gut untereinander, sehen sich auch gerne. Sie entwickeln gemeinsam etwas. Das spürt man. Dennoch ist es eine Herkulesaufgabe, dass sie mit der notwendigen Intensität diesem Projekt treu bleiben. Das ist unsere Chance im Schweizer Handball.»

veröffentlicht: 3. Januar 2018 10:48
aktualisiert: 3. Januar 2018 11:02
Quelle: SDA

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