Italien-Aus: «Schweiz bietet mehr»

14.11.2017, 19:36 Uhr
· Online seit 14.11.2017, 19:09 Uhr
Der Schweizer Ex-Internationale Antonio Esposito verfolgt den italienischen Fussball seit Jahrzehnten. Für den RSI-Experten war das Playoff-Desaster des vierfachen Weltmeisters absehbar.
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Wie ein Fossil taumelten die Altstars der Azzurri am Montagabend im Mailänder San Siro der sportlichen Bankrotterklärung entgegen. «Es fehlte an allem! Sie waren langsam, ohne Rhythmus, spielten nur horizontal. Keiner war in der Lage, sich in einer 1:1-Situation durchzusetzen. Die Schweiz hat spielerisch viel mehr zu bieten.» Espositos Wortwahl lässt keinen Interpretationsspielraum offen.

Einzig dem formstarken Napoli-Stürmer Lorenzo Insigne hätte der 44-jährige Tessiner TV-Journalist zugetraut, die Italiener aus der Umklammerung zu lotsen. «Er kann sich in Dribblings durchsetzen. Aber ausgerechnet Insigne sass 90 Minuten lang auf der Ersatzbank.» Vom Coaching Gian Piero Venturas hält er wenig: «Profillos, zu wenig mutig.»

Angesichts der fehlenden Durchschlagskraft hätte Nice-Angreifer Mario Balotelli ein Thema sein müssen, sagt Esposito. «Aber Stars wie Buffon oder De Rossi lehnen ihn ab. Ventura seinerseits fehlte die Persönlichkeit, seine eigenen Interessen zu vertreten. Einer wie Conte hätte eine solche Personalie in Eigenregie durchgesetzt.»

Die sonderbare Eigendynamik im Fall von De Rossi, der Römer verlangte eine andere Wechseltaktik und lehnte einen eigenen Einsatz ab, entlarvte Ventura tatsächlich als Marionette. «De Rossi hatte ja recht, eine Einwechslung von Insigne wäre zwingend gewesen. Aber seine Geste offenbarte die grundlegenden Probleme des Trainers. In den letzten Tagen führten die Altstars das Team.»

Mit dem internen Eigenleben der Saurier sei das Scheitern aber nicht zu erklären, die Problematik sei tiefgreifender, so Esposito. «In der Serie A kommen die italienischen Talente viel zu wenig zum Zug. Es wimmelt von Ausländern, die auf den wichtigen Positionen den Vorzug erhalten.» Für Einheimische seien die Entfaltungsmöglichkeiten knapp bemessen: «Einer wie Federico Bernardeschi trägt zwar das Juve-Shirt, spielt dort aber bisher keine massgebliche Rolle.»

Der Titelgewinn 2006 habe zahllose Probleme kaschiert. «Der Triumph in Deutschland überstrahlte alles. Danach kamen die Defizite mehr und mehr zum Vorschein. Das Turnier in Südafrika war eine Katastrophe, 2014 versagte Italien erneut. Und jetzt fehlt das Land, in dem sich so viel um den Ball dreht wie in Brasilien, sogar komplett an der WM.»

Von der Serie A macht sich Esposito berufsbedingt regelmässig ein Bild. Sein Urteil fällt ernüchternd aus: «Die italienische Liga gehört seit Jahren nicht mehr zu den führenden Meisterschaften in Europa. Ausser Juventus sind die Teams nur Durchschnitt. Im Europacup fällt auf, wie sehr ihnen das Tempo zu schaffen macht.»

Was nun im geschockten Süden? «Die Katastrophe lähmt die Italiener jetzt zuerst einmal. Dann müssen sie die Trümmer beseitigen und einen kompletten Neuanfang planen. Der totale Umbruch ist die einzige Lösung - mit einem neuen Coach, mit einer anderen Philosophie, mit den Jungen», fordert der Italo-Schweizer.

Die Rücktrittswelle wertet Esposito als ersten Schritt in die richtige Richtung. Innerhalb weniger Stunden zogen sich mit Gigi Buffon, Giorgio Chiellini, Daniele De Rossi und Andrea Barzagli vier Ikonen zurück, die 461 Länderspiele bestritten hatten.

veröffentlicht: 14. November 2017 19:09
aktualisiert: 14. November 2017 19:36
Quelle: SDA

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