Sprachwechsel

Der Briefwechsel von S. Corinna Bille und Maurice Chappaz

11.11.2019, 14:42 Uhr
· Online seit 11.11.2019, 14:25 Uhr
Wer an die Berge des Wallis denkt, landet schnell bei der Literatur von S. Corinna Bille und Maurice Chappaz. Die beiden waren ein Paar, sie teilten sich Alltag und Arbeit. Ein Briefwechsel erzählt von ihrer grossen Liebe und ihren kleinen Krisen.
Anzeige

Es war Liebe auf den ersten Blick, wie sich Corinna Bille (1912-1979) erinnerte: «Ich sah sein Foto und liebte ihn fürs Leben.» Wenig später, nach einer ersten Begegnung, erhält sie ein briefliches «Ich liebe dich» zurück. So beginnt im Frühjahr 1942 ein Briefwechsel, der die Geschichte zweier Liebender erzählt.

Im Band «Ich werde das Land durchwandern, das du bist» ist er auch auf Deutsch erschienen. Der Ausgabe zugrunde liegt eine tausendseitige französischen Originalausgabe. Rund ein Drittel davon hat die Übersetzerin und Herausgeberin Lis Künzli übernommen.

Eine Zukunft vor Augen

Der Titel bezieht sich auf eine Briefzeile von Corinna Bille: «Du bist so ganz und gar wunderbar, dass ich eine Ewigkeit brauchen werde, um das Land zu durchwandern, das Du bist.» Daran fällt nicht allein die poetische Metapher auf, sondern auch die Zuversicht, die sich im Futur des «brauchen werde» ausdrückt.

Maurice Chappaz (1916-2009) teilt diese Freude und hält selbst nicht mit blühenden Worten zurück. Dabei bleibt es nicht beim «Ich liebe dich mehr als ich sagen kann». Die Beschwörung von Zuneigung und Vertrauen grundiert diese Korrespondenz über 37 Jahre hinweg, bis zu Corinna Billes frühem Tod 1979.

Liebe, Schreiben, Unabhängigkeit

Bille und Chappaz arbeiten in jenen Jahren beide intensiv an ihren ersten literarischen Texten. Ihre gegenseitige Liebe hat, von Geldnöten und familiärer Zurückhaltung abgesehen, zwei Konkurrenten: das Schreiben und der Drang nach Unabhängigkeit.

Liebe, Schreiben, Unabhängigkeit ist der Dreiklang, dem sie geradezu unerschütterlich anhängen, auch wenn hin und wieder leise Zweifel daran aufkeimen. Corinna Bille hat schon als Jugendliche die Berufung zur Schriftstellerin erfahren. «Aber in Wahrheit», schreibt sie im Januar 1943, «liebe ich nur das: Schreiben, schreiben von morgens bis abends».

Chappaz hält dem das - von beiden leidenschaftlich geteilte - «Bedürfnis herumzustreifen, nach völliger Freiheit, absoluter Originalität entgegen», wie es ihm seine Geliebte zugesteht.

Fifon und Béliot

Frei von alltäglichen Krisen ist diese Liebe nicht. Bille ist noch verheiratet, so dass die Beziehung geheim bleiben soll. Entsprechend zurückhaltend geben sich ihre Familien hinsichtlich von Kinder- und Heiratsplänen. Dennoch erfüllen diese sich 1946/47.

Drei Kinder bekommt das Paar, eine feste Bleibe aber hat die Familie nur selten. Unruhig pendeln Bille und Chappaz über die Jahre hinweg zwischen Martigny, Verbier, Siders und Raron. Oft leben sie getrennt, auch um sich gegenseitig den Rücken für ihre Arbeit und ihre Unabhängigkeit frei zu halten.

Während Bille alias Fifon, wie sie von ihrem Béliot beim Kosenamen angesprochen wird, in den Briefen immer wieder über ihre Beziehung nachdenkt, zeigt sich Chappaz stärker darin, Billes Texte kritisch zu prüfen.

Schöner Band

Der Schwerpunkt dieser Korrespondenz liegt in den mittleren 1940er Jahren, als Bille an «Theoda» und Chappaz an «Die hohe Zeit des Frühlings» schreiben. Beide sollten sie 1944, im Jahr der Geburt ihres ersten Sohnes, literarisch debütieren. Sie legten so gleichzeitig den Grundstein für ein Werk, das längst zum unverzichtbaren Bestandteil der Schweizer Literatur gehört.

Der Briefwechsel, den Lis Künzli ausgewählt und übersetzt hat, zeichnet sich zusätzlich durch eine kluge Kommentierung und zwei schöne Bildteile aus, die ein Paar zeigen, das mit sich im Reinen scheint. Trotz Krisen und Nöten prägt die Beschwörung der gegenseitigen Liebe noch ihre letzten Briefe.

Die Ruhe der Berge

Alltägliches ebenso wie die literarische Arbeit stechen heraus. Politisches dagegen bleibt weitgehend ausgespart. Ebenso wenig ist in diesen Briefen der Pamphletist Chappaz zu spüren.

Vor allem aber singt diese Korrespondenz auch ein Hohelied auf die Walliser Landschaft: die Natur, die Tiere, die Berge. Maurice Chappaz wie Corinna Bille finden in der Natur der Berge zur Ruhe. Er fühle sich bedrückt, schreibt er 1953, aber er werde wieder aufleben «wenn ich die Berge spüre».

Verfasser: Beat Mazenauer, ch-intercultur

veröffentlicht: 11. November 2019 14:25
aktualisiert: 11. November 2019 14:42
Quelle: sda

Anzeige
Anzeige