Glosse

Der Wettlauf um Rüebli und WC-Papier

08.02.2021, 14:56 Uhr
· Online seit 06.02.2021, 13:08 Uhr
Das kollektive um sich schlagen in den Supermärkten gefällt unserer Redaktorin Lara Abderhalden gar nicht – aus einem heiligen Ort des Essens wurde während Corona ein Schlachtbrett des Konsums. Eine nicht ganz ernst gemeinte lyrische Tour de Supermarkt.
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Ich liebe Einkaufen. Diese Farben, Formen – Supermärkte hatten für mich stets etwas heimeliges. Als ich in Kenia im Austauschsemester war, war der Supermarkt der Ort, an dem ich mich ein bisschen wie zu Hause fühlte. Supermärkte strahlen irgendwie Geborgenheit aus – weil sie überall auf der Welt ähnlich sind und einhalten, was sie versprechen: ein Angebot verschiedenster Esswaren.

Nicht nur bin ich ein grosser Fan von Essen, ich bin auch ein grosser Fan von Essens-Experimenten: Deshalb kann ich normalerweise locker eine Stunde im Supermarkt verbringen. Das hat sich geändert.

Diese Blicke

Wer aktuell einen Laden betritt – vorausgesetzt die Lampe am Eingang leuchtet grün – fühlt sich von A bis Z gestresst. Die ersten bösen Blicke kommen, wenn die Früchte ohne Säckli auf die Wage gelegt werden und verfinstern sich, wenn eine Sekunde zu lange vor dem Apfelregal gestanden – und somit der Zugang zu den Früchten verweigert wird. Die Natur des Schweizers lässt aber nicht zu, dass Mann oder Frau sich verbal beklagt – die Zeichen des Zorns zeigen sich oft in Form verschränkter Arme, kurzem Kopfnicken oder dem Stossen des Einkaufswagens gegen die Hinterbeine (alles schon vorgekommen!). Auch wenn zu Corona-Zeiten alles nach Altruismus schreit – im Supermarkt herrscht Egoismus.

Diese Mimik

Das ist nur schon an der Art der Einkaufswagensteuerung zu erkennen. Mit eisernem Willen und ohne Rücksicht auf Verlust steuern die Menschen derzeit ihre metallenen Körbe auf Rädern durch die schmalen Gassen zwischen den Regalen. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird mit stoischer Ruhe gemustert, bis der Rückzug angetreten wird.

Einkaufen ist nicht mehr gesellschaftlicher Salsa durch Spaghetti und Gorgonzola – sondern leidenschaftsloser Walzer mit anmutig erhobenem Kinn durch Desinfektionsmittel und Gummihandschuhe. Das wundersame «Schnoiggen» wurde zu einem kompetitiven, hemmungslosen Kampf um Waren, die teilweise nur der Reinigung unseres Allerwertesten dienen.

Diese Gesten

Das gelegentliche Tratschen zwischen Parmesankäse und Tomatenpüree mit dem Nachbarn der Eltern wird aufgrund der Maske zum verzweifelten Raten von Gestik und Mimik. Activity im Supermarkt. «Was machsch du do?», «Hä? Was machsch du do», «Hä? Au wider mol do?», «Hä? Bisch au am poschte?», «Hä?» – so verwandeln sich sowieso schon belanglose Gespräche beim Posten in eine noch belanglosere Aneinanderreihung von Fragen und Antworten, wie es sonst teilweise nur in Altersheimen zu erfahren ist.

So erhofft sich, wer einkauft, niemandem zu begegnen, sondern den Parcours durch Menschen und deren eiserne Mienen und Wägen, möglichst schnell zu schaffen – bis an der Kasse das erlösende Pieps des Scangeräts ertönt und der Verkäufer hinter der Maske ein unverständliches: «He..s..sup..Kart» murmelt. Durch langjährige Erfahrung ahnend, was der Verkäufer meint, werden die Supercard gezückt, die Märkli eingesteckt und der Rückzug vorbereitet.

Diese Qual

Und während ich den Wagen zurück zu den anderen schiebe, den Fränkler aus dem Schlitz klaube und mich umdrehe, steht da schon die nächste Person, aufmüpfig wartend, fordernd, dass ich mich doch aus dem Staub machen soll.

Ich hasse Einkaufen. Das hat nichts heimeliges mehr, sondern wurde zum Zwang, zum nötigen Übel – das eines jeden Essens zuvorkommen muss. Oder tue ich den Menschen unrecht? Verbirgt sich hinter manchem FFP2 und babyblauem Papier ein ehrliches Lächeln?

veröffentlicht: 6. Februar 2021 13:08
aktualisiert: 8. Februar 2021 14:56
Quelle: FM1Today

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