Selflove statt Photoshop

«Ich wollte mich unters Messer legen» – Influencerin erzählt über ihr falsches Selbstbild

20.07.2022, 16:57 Uhr
· Online seit 20.07.2022, 11:07 Uhr
Nicht zu erfüllende Schönheitsideale sind in der heutigen Zeit als Influencer schon fast ein Muss. Photoshop und chirurgische Eingriffe ermöglichen diese Wahnvorstellung. Norwegen will dem einen Ende setzen, bearbeitete Bilder müssen zukünftig gekennzeichnet werden. Zuspruch erhält das Gesetz von der Schweizer Influencerin Mabelle Solano.

Quelle: ArgoviaToday / Severin Mayer

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Mabelle Solano; können Sie mir erzählen, wie Sie zu ihrem Job als Influencerin gekommen sind?

In meiner ersten Schwangerschaft im Jahr 2016 war ich auf der Suche nach einem Hobby, welches man von überall aus machen konnte. Wenn man schwanger ist, kann man sich auch nicht mehr so sportlich betätigen. Youtube war für mich die perfekte Lösung, da ich das ganze Equipment bereits zu Hause hatte. Ich fing an, der Öffentlichkeit über meine Schwangerschaft zu berichten, was auch sehr viele interessierte. Nachdem ich mein Kind bekommen hatte, wechselte ich hauptsächlich auf Instagram und legte meinen Fokus auf Fashion-Content. Mittlerweile habe ich für mich jedoch eine Nische gefunden, in der ich sehr gerne über tiefgründige Themen berichte und über mein «Mami-Leben». Dabei fühle ich mich auch sehr wohl.

Sie sind schon seit längerem in der Welt der Social Media unterwegs. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Zu Beginn meiner Karriere hielt man alles recht simpel. Die Bilder und Videos musste ich damals so gut wie nicht bearbeiten. Man produzierte einen Content und hat ihn ins Netz geladen. Mit der Zeit wurde alles viel extremer und die Leute schossen teils auch über das Ziel hinaus. Sie benutzten Photoshop und andere Bearbeitungstools, um sich beispielsweise die Lippen oder Brüste zu vergrössern oder ihre Haut zu straffen. Für mich schienen diese Influencer schon fast perfekt.

Diese Veränderung beeinflusste meine Art zu denken. Man muss sich bewusst sein, dass ein Influencer viel Zeit in den sozialen Medien verbringt und ständig fast nur solche Bilder zu sehen bekommt. Mir war auch bewusst, dass man in diesem Business mit den anderen mithalten muss und so kam ich in eine Spirale von Selbstzweifeln. Ich wollte etwas an mir ändern.

Was wollten Sie genau an sich ändern?

Ich habe im Abstand von 13 Monaten zwei Mädchen zur Welt gebracht. Es ist normal, dass man nach zwei Schwangerschaften nicht mehr denselben Körper hat, wie zuvor. Mich hat es jedoch belastet, dass meine Brüste nach dem Abstillen nicht mehr so straff waren. Anderen Influencerinnen, welche ebenfalls gestillt haben, litten nicht unter diesem Problem. Wie das möglich war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Eines Tages hat mich eine Schönheitsklinik angeschrieben, die auch chirurgische Eingriffe vornimmt. Über mein Profil haben sie von meinen Unsicherheiten erfahren und wollten mir deshalb ein Geschäft anbieten.

Um was für ein Geschäft handelte es sich dabei?

Die Klinik hat mir angeboten, meine Brüste im Wert von rund 8000 Franken zu vergrössern. Im Gegenzug müsste ich für sie Werbung auf meinem Account machen. Ich und meine Komplexe waren begeistert von dieser Idee, ich stimmte zu. Wenig später ging ich bei Ihnen vorbei, um den Eingriff zu besprechen und einen Termin für die Operation auszumachen. Zwei Stunden vor der Brust-Operation habe ich mich jedoch dagegen entschieden. Die Klinik hatte an meinem Entscheid überhaupt keine Freude, da mich auch noch eine Film-Crew begleitet hätte. Ich habe jedoch realisiert, dass es überhaupt nicht nötig ist, dass ich mich dem Druck der sozialen Medien anschliesse. Zudem wollte ich meinen Töchtern nicht etwas vorleben, dass ich mittlerweile für mich nicht mehr befürworte.

Wie hat sich Ihre Sichtweise auf Social Media verändert, nachdem sie die Brustvergrösserung abgesagt hatten?

Wenn man sich bewusst Zeit nimmt, und durch die Plattformen scrollt, fällt einem auf, wie viele Influencer einen Eingriff vornahmen. Es scheint so, als wäre es vollkommen normal in der heutigen Zeit. Jede zweite machte sich die Nase oder hat sich die Lippen vergrössert. Social Media lebt einem vor, dass man das haben muss, was alle anderen auch haben. Ich habe realisiert, dass es nicht notwendig ist, nach einer Realität zu streben, die es eigentlich gar nicht gibt. Wir sind schön, so wie wir sind und das will ich auch meiner Community zeigen. Meine Bilder bearbeite ich deshalb so gut wie nicht mehr, nur einen Farbfilter lege ich manchmal darüber.

In Norwegen muss man ein bearbeitetes Bild explizit kennzeichnen. Was sagen Sie zu diesem neuen Gesetz?

Ich finde das eine unglaublich gute Idee. Mittlerweile kann man Bilder so gut bearbeiten, dass man gar nicht mehr bemerkt, was Natur ist und was nicht. Vor allem für die jüngeren Generationen wäre es sicherlich eine gute Idee, um die Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Ein 15-jähriges Mädchen beispielsweise, das neu in die Welt der sozialen Medien eintaucht, hat sich noch nicht mit dem Thema Bildbearbeitung auseinandergesetzt. Für sie ist es wahrscheinlich nicht klar, dass niemand so makellos und perfekt aussehen kann. Mit einer Markierung bei bearbeiteten Bildern würde für solche Zielgruppen sicher schneller erkenntlich werden, dass es sich beim Content um Photoshop handelt.

(mbr/svm)

veröffentlicht: 20. Juli 2022 11:07
aktualisiert: 20. Juli 2022 16:57
Quelle: ArgoviaToday

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