«Ausser mir sind alle gestorben»

· Online seit 16.11.2016, 10:29 Uhr
Flüchtlinge und Migranten spalten die Meinungen. Einige finden, man müsse die Einwanderung beschränken, andere sind der Meinung, alle Menschen sind in der Schweiz willkommen. Fakt ist: Jene, die es zu uns geschafft haben, haben viel zu erzählen. Im Kanton St.Gallen bekommen sie nun ein Sprachrohr.
Fabienne Engbers
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Der Fotograf Peter Käser hat einen Blog ins Leben gerufen. Sein Ziel: Den porträtierten Personen die Möglichkeit geben, sich persönlich äussern zu können. «Ich sehe momentan wenig Möglichkeiten, wo diese Personen das sonst tun könnten», sagt Peter Käser. «Ich höre viel, wie sich die Menschen in der Schweiz einbringen wollen und wie dankbar sie sind».

Er wolle die Menschen als Personen porträtieren, nicht als Masse. Mal wird jemand vorgestellt, der in St.Gallen wohnt, weil er ein Jobangebot bekommen hat, mal ist es jemand, der aus seinem Land geflüchtet ist, weil dort Krieg herrscht. Sie alle erzählen, wie sie mit dem Leben in der Schweiz zurecht kommen und inwiefern sich die Schweiz von ihrem Herkunftsland unterscheidet. Wir Schweizer sollen durch den Blog erfahren, wie es ist, wenn es einem nicht immer nur gut geht.

Die folgenden drei Gespräche hat Peter Käser bereits geführt und auf seinem Blog veröffentlicht. Während eines Jahres sollen weitere folgen.

«Keine Möglichkeit, den Schweizern nahe zu kommen»

Rita kam vor knapp 15 Jahren aus Nigeria in die Schweiz. Ihre Mutter in Nigeria und alle ihr Geschwister sind früh gestorben. «Das war sehr schlimm für mich», sagt die Nigerianerin. Rita hat in Nigeria Jura und in Frankreich französisch studiert. Dort hat sie ihren Schweizer Mann kennengelernt. Nachdem sie in die Schweiz gekommen ist, hat sie gemerkt, dass sie sich hier nicht einfach so integrieren kann. «Ich habe gemerkt, dass ich Deutsch lernen muss, um mich besser zu integrieren. An Geburtstagen konnte ich mich zum Beispiel nur mit englisch sprechenden Freunden unterhalten.»

Rita hat ihren Mann geheiratet. «Als ich schwanger im Spital war, habe ich gemerkt, wie viel Glück ich habe, hier zu sein», sagt die Nigerianerin. Mittlerweile ist sie gut integriert, hat viele Freunde und spielt auch Fussball in Zuzwil. «Das ist wirklich schön, ich gehöre jetzt dazu», sagt Rita.

«Inside Africa Switzerland», ein Verein, der Afrikaner in der Schweiz integriert, wurde von Rita gegründet. Der Verein hilft sowohl Afrikanern, die in der Schweiz leben, als auch Afrikanern in ihrer Heimat. Sie hat eine Schule in Nigeria gegründet. «Ich wollte der Schweiz helfen und etwas zurückgeben, aber die Schweiz hat schon alles», sagt Rita. Rita besucht heute eine Handelsschule und will Migrationsfachfrau werden.

«Der Anfang war sehr schwierig»

Ganeshakumar ist vor knapp 35 Jahren allein in die Schweiz geflüchtet, damals war er 24 Jahre alt. Der Bürgerkrieg in Sri Lanka hat Spuren hinterlassen, die noch heute sichtbar sind. «Ich bin erst einmal zurück nach Sri Lanka gefahren», sagt Ganeshakumar. Er ist Tamile und war im Jahre 1982 damit noch ziemlich allein in der Schweiz. «Daher war der Anfang für mich schwierig, die Gewöhnung an die andere Sprache, die Kultur und das Essen war herausfordernd», sagt er.

Seine erste Frau, die er noch in Sri Lanka geheiratet hat, ist dort gestorben. Nun ist der Tamile wieder verheiratet und hat vier Kinder, die in der Schweiz aufgewachsen sind. «Ich dachte immer, ich gehe wieder nach Sri Lanka zurück, aber meine Kinder und alle meine Freunde sind in der Schweiz», sagt der Ganeshakumar.

Der Tamile ist Hindu. Seit 2005 gibt es einen Hindutempel in St.Margrethen, der einzige Hindutempel in St.Gallen. Davor ging er in katholische Tempel. «Es gibt viele Formen der Religion, aber nur einen Gott», sagt er. Weil er als Hindu geboren sei, bleibe er auch Hindu.

«Als ich zurück musste, habe ich geweint»

Olga kommt ursprünglich aus der Ukraine. Ihr Mann ist ein Geschäftsmann und wurde von einem Partner nach St.Gallen eingeladen. «Wir haben drei wunderschöne Tage hier verbracht. Auf der Rückfahrt habe ich geweint, weil ich bleiben wollte», sagt sie. Nur ein Jahr später erhielt ihr Mann einen Arbeitsvertrag für eine Stelle in St.Gallen. «Damals war eine schwierige Zeit in der Ukraine, es herrscht Krieg mit Russland und alle sind korrupt», erzählt die Ukrainerin. «So mussten wir nicht fliehen, wir konnten als Arbeiter kommen, die auch eigenes Geld verdienen.»

Die Ukrainer seien sehr motiviert und ehrgeizig, erzählt sie. Davon könnten sich die Schweizer eine Scheibe abschneiden, findet Olga. «Seit ich klein bin, wollte ich in den Alpen wohnen und jetzt ist mein Traum in Erfüllung gegangen», sagt sie. Die Buchhalterin fühlt sich gut integriert. «Um sich hier als Ausländer wohl zu fühlen, sollte man an vielen Veranstaltungen teilnehmen. Es gibt hier so viele Möglichkeit, man kann sich seine Träume erfüllen.» Ihr Mann ist Volleyballtrainer in der Freizeit, dafür blieb in der Ukraine keine Zeit. Das war aber nicht immer so, anfangs war die Integration schwierig. «Vor allem, weil man die Sprache nicht spricht, gibt es viele Herausforderungen. Unser Sohn musste in die Integrationsklasse», sagt Olga.

Auch Olga hat einen Verein gegründet, um sich mit Landsleuten zu vernetzen. Der Osteuropäische Kulturverein Berehynja hat sich zum Ziel gesetzt, die slawische Kultur in der Schweiz bekannter zu machen. Sie hat aber noch weitere Projekte im Kopf. «Ich möchte ein Zentrum für Frauen gründen, die sich verloren haben und sich nicht mehr als Frauen fühlen. Ich möchte ihnen helfen, sich wieder zu finden und ihren Körper zu lieben», erzählt Olga.

veröffentlicht: 16. November 2016 10:29
aktualisiert: 16. November 2016 10:29

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