Solothurner Literaturtage

Online-Einblick in Schreibstuben: Publikum bleibt Zaungast

· Online seit 23.05.2020, 14:45 Uhr
«Skriptor Lyrik» - so hiess eine der Online-Veranstaltungen an den Solothurner Literaturtagen. Life diskutierten am Samstag Schreibende über unveröffentlichte Gedichte von Ruth Loosli. Das Publikum blieb nur Zaungast.
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«Bei jemandem läuft noch das Radio.» Es ist Samstagvormittag, der Tag Zwei der 42. Solothurner Literaturtage im Ausnahmemodus. Aufgrund der aktuellen Lage trifft man sich virtuell zur Veranstaltung «Skriptor Lyrik»: ein Autor und sechs Autorinnen sowie das Publikum, das aus rund dreissig angemeldeten Personen besteht.

Donat Blum, der das Format an den Solothurner Literaturtagen vor vier Jahren mitbegründet hat, begrüsst alle und gibt eine kurze technische Einführung. Schreibende lassen Kamera und Mikrofon an, Zuhörende stellen beides aus. Möchte jemand aus dem Publikum etwas sagen, macht er auf sich aufmerksam, indem er seine Kamera aktiviert. «Alles klar?», fragt Donat Blum in die Runde. Die Autorinnen nicken. Nun ist auch das Radio nicht mehr zu hören.

Gedichtzyklus um Flüchtlingspolitik

In rund anderthalb Stunden werden im Rahmen der Veranstaltungen «Skriptor» während der Solothurner Literaturtage jeweils unveröffentlichte Texte diskutiert. Diesmal ist Autorin Ruth Loosli, die ebenfalls online zugeschaltet ist, an der Reihe. Textinputs geben die fünf Autorinnen Flurina Badel, Johanna Lier, Nora Gomringer, Milena Keller und Daniela Huwyler.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde liest Ruth Loosli, 1959 geboren und im Berner Seeland aufgewachsen, ihre mitgebrachten Texte. Es handelt sich um einen Gedichtzyklus rund um die Flüchtlingsthematik und sechs weitere Gedichte. Obwohl es hie und da hallt und scherbelt, hört man Looslis ruhiger Stimme gerne zu.

Einige Texte sind bild- und rätselhaft, Johanna Lier wird es später als «magische Metaphorik» beschreiben. Andere wiederum sind sehr konkret, wie etwa das «Kindergedicht, das vielleicht keines ist», in dem es um ein dickes Mädchen geht, das überlegt, wie es wäre, anders zu sein.

Nach der Lesung geben die Autorinnen nacheinander Feedback. Sie tun es respektvoll, kritisch und konkret. Nora Gomringer applaudiert Ruth Loosli zu ihrer politischen Haltung in den Texten, Flurina Badel fragt sich, ob das visuelle Strukturieren des Zyklus - einige Zeilen sind gefettet - einen Mehrwert bietet.

Per Video Nähe und Distanz zugleich

Das Format Videokonferenz schafft Nähe und Distanz zugleich. Distanz, weil man nicht mit den Menschen im selben Raum ist. Nähe, weil man die Schreibenden in ihrer privaten Umgebung sieht, als wäre man bei jedem einzelnen zum Tee eingeladen. Bei Johanna Lier hängt an der Wand ein Bild mit einem Schiff, Ruth Loosli sitzt neben einer weisse Ständerlampe und Flurina Badel trinkt etwas Warmes aus einer bunten Tasse. Das private Setting passt, weil die Schreibenden in diesem Format eben auch inhaltlich Einblick in ihre kreativen Schreibstuben gewähren.

Obwohl von Moderator Donat Blum mehrmals ermuntert, nimmt das Publikum die Möglichkeit, sich interaktiv zu beteiligen, kaum wahr. Nur eine Zuschauerin schaltet ihre Kamera ein und meldet sich zu Wort. Die anderen bleiben in der beobachtenden Position. Für viele ist die Hürde, sichtbar zu werden, vermutlich zu hoch und das Setting ungewohnt. Vielleicht hätte ihnen die Möglichkeit, sich in anderer Form als per Video zu beteiligen, den Einstieg erleichtert. So bleibt «Skriptor Lyrik» eine inhaltlich durchaus spannende, formal aber etwas zähflüssige und wenig spontane Feedbackrunde unter Schreibenden. Etwas mehr Dynamik und Diskussion würde der Veranstaltung - gerade, da sie online stattfindet - gut tun.

literatur-online.ch

veröffentlicht: 23. Mai 2020 14:45
aktualisiert: 23. Mai 2020 14:45
Quelle: sda

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