«Ein grosser Erfolg» – kommt die Vier-Tages-Woche bald in der ganzen Schweiz?
Nur vier Tage in der Woche Arbeiten bei gleichbleibendem Lohn und Ferien. Für viele klingt die Vier-Tages-Woche wie ein Traum. In vielen britischen Firmen wird sie vielleicht bald Realität. Nach einem Pilotprojekt von sechs Monaten, bei welchem 61 Firmen teilnahmen, verlängerten 56 Firmen das Projekt. Von diesen führen 18 Firmen die Vier-Tages-Woche sogar ganz ein.
Das Projekt scheint in England positiv auszufallen, doch umsetzbar ist es in der Schweiz zumindest nicht für alle.
Arbeitstage werden länger
Markus Bänziger, Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen und Appenzell, sieht bei dem Thema Vor- und Nachteile. «Wenn die Vier-Tages-Woche im Interesse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist, dann birgt sie viele Chancen für beide Seiten.»
Wer vier Tage arbeitet, kann so einen weiteren Tag für Familie, Freunde und Hobbys aufbringen. Ein weiterer freier Tag kann die Produktivität von den Arbeitnehmenden erhöhen, da sie mehr Zeit haben, sich am Wochenende zu erholen, was so auch wieder vorteilhaft für das Unternehmen ist.
Jedoch müsse beachtet werden, dass die Arbeitnehmer durch das Wechseln von fünf auf vier Tage dafür bis zu zwei Stunden länger Arbeiten müssen. Das heisst, statt acht Stunden am Tag werden es bis zu zehn. «Die längeren Arbeitstage könnten eine zusätzliche Belastung für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen darstellen», sagt Bänziger.
Das heisst Personen würden so einen zusätzlichen freien Tag haben, gleichzeitig würden sie sich aber einfach in der Woche stärker überarbeiten und wären schlussendlich am Wochenende erschöpfter.
Weniger Stunden, gleiche Produktivität
Auch wenn die Vier-Tages-Woche in der Schweiz nicht grossflächig etabliert ist, gibt es doch einzelne Unternehmen, welche dieses Modell schon anbieten – auch im FM1-Land.
Die Bichler und Partner AG im Obertoggenburg führte die freiwillige Vier-Tages-Woche im April 2022 ein. Die Angestellten in diesem Modell arbeiten dasselbe Pensum in vier Tagen ab, haben dafür dann einen zusätzlichen Tag frei.
Anders macht es die Coiffeurkette Adesso und Amici Hair Design, welche momentan mehrere Filialen in ganz St.Gallen, dem Kanton Zug und dem Zürcheroberland betreibt. Ihr Vier-Tages-Modell wurde im Februar 2022 eingeführt. Statt den gewöhnlichen 43 Stunden arbeiten die Coiffeure und Coiffeusen in diesem Arbeitsmodell nun nur noch 34.4 Stunden, diese seien dafür effizienter ausgefüllt.
«Es ist zu einem grossen Teil alles eine Frage der Organisation und der Planung», sagt Carmine Graziano, HR-Verantwortlicher bei Adesso und Amici Hair Design. «In diesem Berufsfeld gibt es am Tag oft viele Leerzeiten, in denen zum Beispiel keine Termine geplant wurden.»
Durch effizientes Management der Termine könne man jetzt diese Leerzeiten ausfüllen und in vier Tagen ohne Leerzeiten dieselbe Produktivität auf den Tisch bringen wie in fünf Tagen mit Leerzeiten.
Ostschweizer Modelle sind erfolgreich
«Insgesamt arbeiten bei uns nun 10 Personen in diesem Modell», sagt Graziano. Die Rückmeldungen von den Mitarbeitenden seien durchweg positiv. «Die Mitarbeiter sind alle viel motivierter, weil sie während der Arbeitszeit effizienter Arbeiten können und ihre Arbeitszeit besser verwenden.» Der zusätzliche freie Tag würde natürlich auch noch motivieren.
«Dass die Produktivität sich nicht verringert hat, zeigen auch die Zahlen. Im Gegensatz zum Vorjahr haben wir bezüglich Einnahmen sogar eine Umsatzsteigerung erzielt», so Graziano. Der Beruf würde für viele Arbeitnehmende so wieder attraktiver werden. Einige andere Coiffeur-Salons hätten das Modell auch schon übernommen und sich über die Funktionalität des Modells informiert.
Auch die Hauptlieferanten von Adesso und Amici Hairdesign seien aus der ganzen Schweiz angefragt worden, ob dieses Modell wirklich funktionieren könne. Die Einführung der Vier-Tages-Woche schlug hohe Wellen und auch in Deutschland wurde darüber berichtet. die generelle Skepsis sei aber hoch gewesen.
«Natürlich ist das ein klarer Erfolg für uns. Wir waren die Ersten in der Branche, welche das Modell so anwendeten, und das nun auch andere Salons darauf zugreifen ehrt uns natürlich etwas.» Graziano würde die Vier-Tages-Woche definitiv weiterempfehlen. «Die Arbeitenden sind motivierter und fitter und wir haben überhaupt nichts eingebüsst. Sogar die krankheitsbedingten Absenzen sind deutlich zurückgegangen. Ein Erfolg auf ganzer Linie.»
Nicht überall umsetzbar
In Grossbritannien setzten die verschiedenen Firmen jeweils ihre eigenen Konzepte um. Wie «The Guardian» schreibt, hätten einige Firmen die Arbeitsstunden reduziert, um die Vier-Tages-Woche durchzusetzen, einige hätten ihre Tage einfach um einige Stunden verlängert.
Eine Reduzierung der Stunden sei in der Schweiz aber kaum möglich, sagt Bänziger. «In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis 1964 nach und nach in Pension. Dadurch gehen viele Arbeitskräfte verloren und der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich vergrössern.» Dabei dann bei gleichbleibendem Pensum die Arbeitsstunden zu reduzieren, sei gesamtwirtschaftlich kaum tragbar.
Wie das Beispiel der Coiffeur-Kette aber zeigt, ist es für einige Unternehmen und einzelne Branchen durchaus möglich. «Profitiert werden kann dadurch definitiv, wenn alles gut organisiert und geplant wird», so Bänziger. Vor allem kombiniert mit Teilzeitmodellen könne es viele Vorteile bringen. Für alle Berufsbranchen und gesamtschweizerisch sei es aber kaum umsetzbar.