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Smartphones sind nicht schlecht: «Wenn man es nicht übertreibt, ist es auch nicht schädlich»

Handy-Verbot an Ostschweizer Schulen?

Smartphones sind nicht schlecht: «Wenn man es nicht übertreibt, ist es auch nicht schädlich»

20.09.2024, 06:45 Uhr
· Online seit 20.09.2024, 06:24 Uhr
Momentan wird in der Politik heiss über das Handy an Schulen diskutiert. Auch im Kanton Thurgau und St.Gallen gibt es Bestrebungen, das Handy aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Doch wie sinnvoll ist das? Ein Experte ordnet ein.
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Landauf und landab wurde in den vergangenen Monaten politische Stimmen laut, welche die Handynutzung an Schulen eindämmen oder gar ganz verbieten will. Auch in Ostschweizer Kantonen gibt es solche Bestrebungen. Sowohl im Kanton St.Gallen wie auch im Kanton Thurgau gibt es Vorstösse aus dem bürgerlichen Lager zu diesem Thema.

Doch wie sinnvoll ist es, dass Smartphone aus dem Klassenzimmer zu verbannen? Dominik Petko, Professor für Allgemeine Didaktik und Mediendidaktik an der Universität Zürich, hat mit FM1Today über die Vorzüge und Schattenseiten des Handys im Klassenzimmer gesprochen.

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Herr Petko, wie sinnvoll ist es aus Ihrer Sicht, Smartphones an den Volksschulen zu verbieten?

Dominik Petko: Ich bin der Meinung, dass man Smartphones an den Schulen nicht komplett verbieten, aber sehr wohl einschränken sollte. Wie heisst es so schön: Die Dosis macht das Gift.

Wie meinen Sie das?

Wenn man es nicht übertreibt, ist es in der Regel auch nicht schädlich. Das Handy kann ausserdem auch sinnvoll verwendet werden. Und diese sinnvolle Verwendung muss gelernt werden.  Es gibt sehr viele tolle Anwendungen, die man in verschiedensten Schulfächern brauchen kann. Die Kinder können beispielsweise schnell etwas nachschlagen, können etwas mit der Kamera dokumentieren oder im Klassenchat um Hilfe fragen.  Solche Anwendungen sollten Schülerinnen und Schüler natürlich lernen.

Das Handy kann also ein mächtiges Lernwerkzeug sein. Doch in den politischen Vorstössen werden oft die negativen Seiten der Handynutzung hervorgehoben. Was können sie dazu sagen?

Es gibt Studien, die zeigen, dass Handys – wenn sie jederzeit erlaubt sind – ein grosses Ablenkungspotenzial haben. Das ist in der Schule natürlich kontraproduktiv. Hinzukommen noch weitere negative Begleiterscheinungen. Dazu gehört beispielsweise auch Cybermobbing.

Ist das alles? Oft werden auch psychische Probleme bei Jugendlichen als Argument ins Feld geführt.

Wenn wir uns die heutigen Studien anschauen – und es gibt sehr viele Studien dazu – kann man sagen, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen häufiger Mediennutzung und vielen Faktoren des Wohlbefindens gibt. Und im Schnitt scheint sich tatsächlich ein negativer Effekt zu zeigen. Allerdings ist dies mit Vorsicht zu geniessen.

Wie meinen Sie das?

Die festgestellten negativen Effekte sind im Durchschnitt deutlich geringer, als man häufig annimmt. Im Einzelfall kann das natürlich aber sehr unterschiedlich ausfallen. Hinzu kommt, dass es sich dabei um Zusammenhänge und nicht um Ursachen handelt. Es gibt da noch viele weitere Faktoren, die da hineinspielen können, welche aber in den Studien nicht mitbeachtet werden. Dies können beispielweise Probleme im Freundeskreis oder mit den Eltern sein.

Ein Handy ist also doch gefährlich?

Es kommt auf den Umgang an. Ein Laissez-Faire-Ansatz, also das Einfach-machen-lassen, kann dazu führen, dass solche negativen Effekte eher vorkommen. Anders sieht es aus, wenn gezielt mit dem Handy umgegangen wird. Da können eben die erwähnten positiven Eigenschaften überwiegen. Auch dazu gibt es viele Studien, die zeigen, dass Mobiltelefone sehr effektiv genutzt werden können und die Lern- und Motivationseffekte hoch sind. Insofern würde ich dafür plädieren, das Handy in der Schule gezielt an- und ausschalten.

Meinen sie damit, dass Kinder mehr Zeit in der «analogen» Welt verbringen sollen?

So trennscharf wie alle immer meinen, sind diese Welten nicht. Oft werden sie als Gegensatz beschrieben. Ich glaube, das digitale Leben gehört auch zu unserem analogen Dasein dazu. Sie sind miteinander verwoben. Es gibt, glaube ich, kaum noch etwas, was nicht zugleich analog und digital ist.

Können Sie ein Beispiel machen?

Wenn Sie in den Zoo gehen, dann sehen Sie da natürlich echte Tiere, aber Sie haben auch viele Begleitinformationen, die Sie online dazu abrufen können. Und vielleicht machen Sie auch Fotos, um sich später besser daran zu erinnern. So kann das Erlebnis im besten Fall noch intensiviert werden, da Sie das ganze nun besser verstehen können. Und so ist es mit ganz vielen Dingen.

Sie sagen also, das Handy gehört zu unserem Leben. Aber die Politik will es aus der Schule verbannen. Wie ist die Situation jetzt?

Wenn wir Kinder auf eine digitalisierte Welt vorbereiten wollen, sollte Digitalität natürlich auch in der Schule eine Rolle spielen – und natürlich sollte man auch mit ihnen darüber reden. Dem trägt auch der Lehrplan 21 Rechnung.  Das Modul Medien und Informatik ist jetzt ja in der ganzen Volksschule obligatorisch. Doch nicht nur die Schule ist in der Pflicht.

Wer noch?

Auch die Eltern und eigentlich das gesamte Umfeld des Kindes. Es ist eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft anpacken müssen.

Was empfehlen Sie Eltern und Lehrpersonen?

Das Allerwichtigste ist, ein offenes Ohr und ein offenes Auge in Bezug auf den Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen zu haben. Das heisst, man muss sich für den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen interessieren und mit ihnen darüber sprechen. Eltern und Lehrpersonen können ihnen auch mal über die Schulter schauen oder gemeinsame Medienerlebnisse sammeln. Genau so lernen Kinder und Jugendliche ja auch den Umgang mit alten Medien wie dem Fernseher. Nicht anders funktioniert das bei neuen Medien wie Social Media oder Künstlicher Intelligenz. Und auch bei neuen Medien sollte man sich fragen, ob der konsumierte Inhalt altersangemessen ist. Erwachsene müssen wirklich eine gezielte Aufmerksamkeit entwickeln gegenüber dem Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen. Werden die Medien nur als Babysitter oder Beschäftigung betrachtet, für die man sich als Erwachsene nicht zu interessieren braucht, können eben solche negativen Effekte auftreten.

Darüber sprechen genügt also?

Was sich ebenfalls bewehrt hat, sind altersgerechte Bildschirmzeiten. Bei kleinen Kindern empfehle ich beispielsweise, sie nicht unbegleitet das Handy oder das Internet nutzen zu lassen. Am Ende der Primarschule hat das Kind dann vielleicht eine halbe bis eine Stunde Bildschirmzeit und auch in der Oberstufe lohnt es sich, mit den Jugendlichen über eine Begrenzung zu diskutieren. Und es ist nicht in etwa so, dass sie da nur abwehren. Viele der Jugendlichen sehen sie die eigene Mediennutzung auch relativ kritisch und würden eine Begrenzung auch einsehen.

Die Bildschirmzeit begrenzen und über die Schulter schauen, sind das nicht etwas gar grosse Eingriffe in die Privatsphäre der Jugendlichen?

Es ist ein gängiges Missverständnis, zu meinen, dass Jugendliche den Umgang mit diesen Medien einfach so lernen. Vor allem in den Teenager-Jahren wird rebelliert. Da loten die Jugendlichen aus, was sie posten können. Sie schauen, wofür sie Aufmerksamkeit kriegen. Was kann gesagt werden? Oftmals werden da die Grenzen überschritten. Denn was lustig gemeint ist, kann verletzend sein – und das Internet vergisst nicht so schnell. Daher sollten die Erwachsenen den Kindern und Jugendlichen zwar Zugang zu gewissen Chats oder Apps geben, aber sich dann eben auch darüber mit ihnen austauschen. Manch einer könnte dann geschockt sein, was die Kinder wirklich posten. Hinzu kommen noch Fakenews oder radikale politische Propaganda. Auch hier müssen die Kinder zuerst lernen, wie sie Fehlinformation und Werbung von echter Information unterscheiden können.

Die Kinder sollen sich also nicht einfach alleine durch den Cyberspace navigieren?

Nein, sicherlich nicht. Sie können sich das Internet wie eine grosse Stadt vorstellen. Es gibt Läden, Museen, und vieles mehr. Doch es gibt auch dunkle, gefährliche Ecken in der Stadt – und wir lassen die Kinder dort momentan unbeaufsichtigt rumtollen. Das würden wir im echten Leben ja auch nicht machen, sondern wir würden sie erst begleiten und ihnen dann immer mehr selbst zutrauen.

Ein Verbot würde da nichts verbessern?

Nein, denn die Kinder und Jugendlichen würden die problematischen Inhalte dennoch konsumieren, halt einfach heimlich und auf dem Handy des Kollegen oder der Kollegin. Um diese «Stadt» – um bei der Metapher zu bleiben – zu besuchen, müssen sie nicht das Haus verlassen.

Sie zielen hier auch auf die Sozialen Medien ab. Was ist denn das Problem daran?

Das Problem an den Sozialen Medien ist, dass sie darauf ausgelegt sind, süchtig zu machen. Sie versuchen, einen möglichst lange am Bildschirm zu halten. Dank des Algorithmus werden einem nur Inhalte gezeigt, die interessieren. Zudem können beispielsweise durch Likes Belohnungszentren im Hirn aktiviert werden. Daher sind diese Medien auch nicht ganz unschuldig daran, dass die Jugendlichen sehr viel Zeit daran verbringen. Dieser Sachverhalt muss den Kindern und Jugendlichen zuerst einmal bewusst gemacht werden – und daher eben auch in der Schule thematisiert werden.

Was würden Sie sich wünschen?

Um die Kinder richtig vorzubereiten, braucht es alle. Und damit meine ich auch die Medienanbietenden sowie die Politik. Und ich meine hier nicht Verbote, sondern Spielregeln. Es bräuchte einen klareren rechtlichen Rahmen für Soziale Medien. Die Medienanbietenden sollten sich nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Momentan wird alle Verantwortung dem User übertragen. Doch im Falle von Kindern und Jugendlichen sind es halt unmündige Nutzerinnen und Nutzer. Da muss sichergestellt werden, dass sie nicht einfach mit unangemessenen Inhalten in Kontakt kommen können oder ihre Daten für Manipulation genutzt werden. Auch muss es einfache Möglichkeiten geben, Dinge wieder komplett online entfernen zu können. Auf europäischer Ebene wurde hier mit der Datenschutz-Grundverordnung ein erster Schritt gemacht, auch wenn das bisher primär dazu geführt hat, dass man jetzt auf jeder Webseite längere Einverständniserklärungen akzeptieren muss. Trotzdem kann es sinnvoll sein, dass auch die Schweiz solche Schritte einleitet. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. 

veröffentlicht: 20. September 2024 06:24
aktualisiert: 20. September 2024 06:45
Quelle: FM1Today

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