Selbstversuch

So ist es, wenn man taubblind Zmittag isst

· Online seit 27.06.2022, 18:50 Uhr
FM1Today-Reporterin Olivia Jasek hat sich einer Herausforderung gestellt und ist wie eine taubblinde Person essen gegangen. Wie gut – oder schlecht – das funktioniert hat, erfährst du hier. Möglich ist das Experiment aktuell im Rahmen einer Sensibilisierungs-Aktion für jedermann.
Anzeige

Stell dir vor, du stehst im Restaurant an einem Buffet und kannst weder etwas sehen noch hören. Genau so ist es mir bei meinem Selbstversuch gegangen. Im Rahmen der Aktion «zu Tisch!» bin ich taubblind im Tibits in St.Gallen zu Mittag essen gegangen. Die Aktion steht im Zeichen der Taubblindheit. Verschiedene Restaurants in der ganzen Schweiz haben mitgemacht und ihren Gäste eine Sichtschutzbrille und Ohropax zum Essen angeboten.

Herausforderung Buffet

Vor dem Tibits in St.Gallen erwartet mich bereits Gaston Perroud von der Fachstelle Hörsehbehinderung und Taubblindheit. Er hat mich bei diesem Experiment begleitet und unterstützt. Ins Restaurant selbst bin ich noch normal hineingegangen. An meinem Platz erwartet mich ein Tischset mit einer integrierten Sichtschutzbrille, welche man abtrennen kann.

Gaston erklärt mir zu Beginn, wie wir vorgehen werden. «Du kannst dich an mir festhalten und ich leite dich am Buffet», sagt Gaston. Also setze ich mir die Brille auf und stecke mir Kopfhörer in die Ohren. Gaston meint, dass die Musik die Hintergrundgeräusche besser abdämpfe als nur Ohropax alleine. Dann geht es los zum Buffet. Ziemlich unangenehm, denn um 12 Uhr mittags ist am Buffet im Tibits einiges los.

Ich muss mich unglaublich auf Gaston verlassen. Denn das Einzige, was ich wahrnehme, sind ein paar Bewegungen um mich herum. Am Buffet erklärt Gaston immer, was es für ein Angebot hat. Ich muss mich konzentrieren, damit ich ihn über die Musik hinweg verstehe. Die Sachen, die ich Essen will, schöpft er mir auf den Teller. Am Buffet bemerke ich auch, dass mein Gleichgewichtssinn zu schwächeln beginnt. Ich beginne, leicht zu schwanken und fühle mich nicht besonders wohl. Auch die vielen Menschen um uns herum machen mich ein wenig nervös.

Ein Hoch auf kontaktloses Bezahlen

Knifflig wird es auch an der Kasse: Ich zahle mit der Karte und hoffe, dass der Kontaktlosleser funktioniert. Denn ich hätte meinen Code nicht blind eingeben können. Zum Glück funktioniert alles reibungslos. Die liebe Kassiererin bringt mir das Essen sogar an den Tisch. Dort beginnt für mich die wahre Challenge: Blind essen.

Bei der Hälfte meiner Bissen befindet sich gar nichts auf der Gabel und wenn es etwas auf die Gabel geschafft hat, fällt es meist runter. Mein Zeitgefühl versagt komplett während des gesamten Experiments, darum fühlt es sich auch wie eine Ewigkeit an, bis ich meinen kleinen Teller fertig gegessen habe. Ebenfalls eine spezielle Herausforderung: Mein Wasserglas auf den Tisch zu stellen, ohne etwas zu verschütten.

Als mein Teller leer ist und ich die Brille abnehmen kann, bin ich einen Moment lang verwirrt. Ich bin mich nicht mehr an das helle Licht und alle anderen Eindrücke gewöhnt. Darum ist mir zehn Minuten lang ein wenig schlecht und ich habe Kopfschmerzen. Aber nach einigen Minuten Ruhe geht es mir schnell wieder gut.

Überfordert und beeindruckt

Insgesamt war das Experiment die Erfahrung sicher wert. Ich bin beeindruckt, wie Taubblinde ihren Alltag bewältigen können. Ich selbst war absolut überfordert. Das liegt aber auch daran, dass ich keine Zeit hatte, mich an die Situation zu gewöhnen. Die Erfahrung war es aber wert und ich würde es jederzeit wieder versuchen.

TVO hat den Taubblinden Gerd Bingemann und FM1Today-Reporterin Olivia Jasek beim Restauranbesuch begleitet – hier ist der Beitrag dazu:

(oli)

veröffentlicht: 27. Juni 2022 18:50
aktualisiert: 27. Juni 2022 18:50
Quelle: FM1Today

Anzeige
Anzeige