Vögel füttern im Winter: Sinn oder Unsinn?

19.12.2017, 12:11 Uhr
· Online seit 19.12.2017, 05:47 Uhr
Schadet es Vögeln, wenn man sie durch den Winter füttert oder ist es für die Tiere vielmehr überlebenswichtig? Die Meinungen von Vogelkundlern gehen auseinander.
Stephanie Martina
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Was fressen Vögel eigentlich wenn Schnee liegt? Diese Frage stellen sich manche Winter für Winter und hängen vorsichtshalber ein paar Meisenknödel oder ein Vogelhäuschen auf. Doch soll man Vögel überhaupt füttern oder kommen sie gut selbst zurecht? «Vögel sind sehr erfinderisch», sagt Michael Schaad, Mediensprecher der Vogelwarte Sempach. Der diplomierte Biologe erklärt: «In unseren Augen ist es nicht nötig, dass der Mensch für die Vögel Futter bereitstellt. Denn das Finden von Nahrung in der kalten Jahreszeit ist eine Kernkompetenz der Vögel. Sie müssen in der Lage sein, etwas Essbares und neue Futterquellen zu finden.»

Die Vogelarten, die den Winter über in der Schweiz bleiben würden, hätten sich gut an die winterlichen Verhältnisse angepasst und könnten sich deshalb selbst versorgen, sagt Schaad. Kritisch werde es erst dann, wenn die Böden über längere Zeit gefroren seien und die Vögel Mühe bekämen, genügend Essbares zu finden. In diesen Fällen sei die Fütterung durch den Menschen eine Überlebenshilfe. «Doch solange die Vögel selber in der Lage sind, Nahrung zu finden, müssen sie nicht gefüttert werden», sagt Schaad.

«Es besteht Handlungsbedarf»

Dem widerspricht Christian Müller, Leiter der Wildvogel-Pflegestation in St.Gallen. Der Vogelkundler hält es nicht nur für wichtig, die Vögel im Winter bei der Futtersuche zu unterstützen, sondern ist der Meinung, dass Vögel das ganze Jahr über gefüttert werden sollten. «In unserer hochzivilisierten Umwelt finden die Vögel immer weniger Nahrung, weil ihnen ihre Nahrungsgrundlagen weggenommen werden. Ohne die Hilfe des Menschen kommen sie leider kaum noch über die Runden. Deshalb besteht hier Handlungsbedarf», sagt Müller. Jetzt im Winter sei dieses Problem umso grösser. «Deshalb muss Vögeln unbedingt Futtermittel angeboten werden, damit sie nicht verhungern.»

Dass die Vögel durch die ganzjährliche Fütterung ihren natürlichen Trieb verlieren, selbständig nach Essbarem zu suchen und bequem werden, glaubt Müller nicht. «Wir können den Vögeln zum Beispiel keine lebenden Insekten füttern. Diese werden sie immer selbst suchen müssen.»

Futterstelle muss katzensicher sein

In einem Punkt sind sich aber beide Experten einig: Die Futterstelle darf für die Vögel keine Gefahr darstellen. «Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass man neben den Vögeln nicht auch deren Feinde – wie Katzen und Greifvögel – anlockt. Das Futterhäuschen sollte an einem Ort angebracht werden, wo sich die Vögel zurückziehen können», betont Schaad. Dem pflichtet Christian Müller bei: «Der Fütterungsplatz muss für Katzen unerreichbar sein. Es ist tragisch: Jeder dritte Vogel in unserer Pflegestation fällt einer Katze zum Opfer.»

Weiter müsse das Futter so angeboten werden, dass sich die Vögel nicht darauf erleichtern können. «Wenn sie den Kot der anderen Vögel mitessen, können sie sich gegenseitig mit Krankheiten anstecken», sagt Schaad. Sein St.Galler Berufskollege fügt an: «Die Hygiene muss gewährleistet sein. Deshalb muss der Kot regelmässig weggeputzt und das Futterhäuschen sauber gehalten werden.» Zudem dürfe das Futter nicht nass werden, da es sonst anfange zu schimmeln.

Fetthaltige Nahrung ist gefragt

Auch in punkto Futter herrscht Einigkeit: Im Winter seien Vögel darauf angewiesen, dass sie fetthaltiges Essen finden, sagt Schaad. Für Vögel mit einem dickeren Schnabel eignen sich daher Hanf- und Sonneblumensamen. Für Rotbrüstchen und Amseln mit einem etwas feineren Schnabel bieten sich im Öl getränkte Haferflocken oder Weinbeeren an.

veröffentlicht: 19. Dezember 2017 05:47
aktualisiert: 19. Dezember 2017 12:11

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