Waldameisen modellhaft erforscht

09.07.2019, 13:37 Uhr
· Online seit 09.07.2019, 13:25 Uhr
Das erste flächendeckende Waldameisen-Inventar der Schweiz haben die beiden Basel erarbeitet: Knapp 1800 kartierte Nester erlauben Rückschlüsse auf Lebensraumansprüche und ermöglichen gezielten Schutz dieser nützlichen Insekten.
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Seit über 50 Jahren stehen Waldameisen in der Schweiz unter Naturschutz, doch erforscht sind die hiesigen Arten noch wenig. Nützlich sind sie als Schädlingsregulatoren, Samenverbreiterinnen, Nahrungsquelle und Bodenbelüfter. Zudem halten Waldameisen bestimmte Läuse, die den für Bienen wichtigen Honigtau produzieren.

Wissenslücken haben nun das Amt für Wald beider Basel und die Baselbieter Naturschutzfachstelle geschlossen. Amtsleiter Ueli Meier nannte die flächendeckende Kartierung der Waldameisennester am Dienstag vor den Medien eine «Pionierarbeit». In den 1980er-Jahren habe eine WWF-Aktion landesweit 2700 Nester erfasst; das neue Projekt sei mit fast 1800 für zwei Kantone wesentlich gründlicher.

Die nun erfassten 1757 Ameisenhaufen dürften knapp zwei Dritteln der realen Gesamtzahl entsprechen, sagte Projektleiterin Isabelle Glanzmann. Auch die Fehlerquote der Methode habe man ermittelt. Aus Kapazitätsgründen durchsuchte man nur die Waldflächen - auch so war das flächendeckende Inventar ein «sehr ambitiöses Ziel». In Kauf nahm man so, dass eine Art vom Radar verschwand, die im Offenland heimische Wiesen-Waldameise.

Die enge Erfassung mittels reproduzierbarem Suchverfahren bildet die Verteilung und Diversität der Ameisen gut ab. Bisher beispiellos, soll sie als Referenz dienen und das potenzielle Verbreitungsgebiet der verschiedenen Arten abschätzbar machen. Die geplante Wiederholung der Inventarisierung soll Veränderungen samt Ursachen aufzeigen. Wann ein Update des Inventars folgt, ist laut Meier noch offen.

Artspezifische «Hotspotanalysen» haben Häufungen bestimmter Arten aufgezeigt. Dies ermögliche gezielten Schutz grösserer Kolonien und ganzer Waldgebiete, hiess es weiter. Und wenn Förster Neststandorte kennen, könnten sie diese bei Holzarbeiten verschonen - speziell wenn in der Fällsaison im Winter Schnee darüber liegt.

Das Waldameiseninventar beider Basel zeigt, dass alle fünf potenziell vorkommenden Arten auch tatsächlich präsent sind. Unerwartet wurde zudem eine im Gebirge heimische Art gefunden. Für die beiden häufigsten Arten wurde ein Habitatmodell entwickelt, das Zusammenhänge zwischen Lebensraumbedingungen und Nestdichte abbildet.

Für Meier ist die angetroffene Vielfalt und Dichte an Ameisen ein Beleg für langjährige sorgfältige Arbeit der Forstleute und Planer. Der Baselbieter Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber unterstrich die didaktische Bedeutung des Anlasses mit seiner Präsenz tief im Wald.

Laut dem Amt für Wald ist so ein hochaufgelöstes, flächendeckendes Modell entwickelt worden. Damit könnten die Ergebnisse auf gleiche biogeografische Regionen übertragen werden. Erklärt wurden die Erkenntnisse den Medien am Dienstagmorgen auf einem Mischwald-Hügel südlich von Gelterkinden BL.

Interessant sind laut Meier auch jene Orte, wo das Habitat eigentlich passen müsste, aber keine Nester sind: Die Gründe dafür müsse man jetzt noch erforschen. Eine weitere Lücke sind laut Glanzmann die Bodeneigenschaften, die weder flächendeckend verfügbar waren noch neu erhoben werden konnten.

Finanziert wurde das Waldameiseninventar durch die beiden Kantone - einziger Projektbeitrag neben Arbeitsleistungen sind 140'000 Franken von Baselland. Man sei «sehr günstig» zu soviel Wissen gekommen, bilanzierte Meier mit Verweis auf viel ehrenamtliche Arbeit.

Einbezogen wurde neben Forstleuten auch das Zehnjahres-Projekt «Ameisenzeit», das von WaldBeiderBasel und dem Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverband getragen wird. Viele Forstleute und über 50 Freiwillige jenes Projektes haben 2015 bis 2018 die 21'000 Hektaren Wald der beiden Kantone nach Ameisennestern abgesucht.

Landesweit kommen insgesamt rund 140 Ameisenarten vor, darunter sechs Waldameisen-Arten. Ihre Bestände sind trotz Schutz seit Jahren rückläufig, wofür mehrere Faktoren im Verdacht stehen, von Waldfragmentierung über Nestzerstörung bis zur Agrochemie. Die Tiere sind sehr mobil: Sie können ihre Nester bei Bedarf verlegen; manche sind indes viele Jahrzehnte am selben Platz.

Dank nicht selten einer halben Million Arbeiterinnen pro Nest können Ameisen rasch reagieren, wenn in ihrem Umfeld beispielsweise eine Schädling wie der Borkenkäfer sich plötzlich vermehrt. Empfindlich sind sie auf Bodenverdichtung, weil das Nest unter dem Boden oft grösser ist als der sichtbare Haufen darüber.

Störungen der Nester - neben Menschen sind auch Nahrung suchende Spechte oder Wildschweine Übeltäter - sind besonders im Winter bei Kälte gefährlich, da Ameisen ihren Nachwuchs permanent klimatisiert pflegen. Der Gelterkinder «Nest-Götti» Andres Klein sprach von «quasi Wärmetauschern für die Brut». Für ihn sind Ameisen auch Wetterwarner: Sind viele Löcher am Haufen offen, rechneten die Tiere nicht mit Regen.

veröffentlicht: 9. Juli 2019 13:25
aktualisiert: 9. Juli 2019 13:37
Quelle: SDA

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