Vom Provinznest zum Freestyle-Mekka

24.08.2018, 10:21 Uhr
· Online seit 24.08.2018, 10:11 Uhr
Seit Jahren ist die Schweiz Vorreiterin in Sachen Freestyle-Sportarten. Diese Entwicklung hat auch viel mit dem Jahr 1994 zu tun, der Gründungsstunde der Trainingsanlage «Jumpin» in Mettmenstetten.
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Es gibt Ortschaften, in die sich die Menschen eher zufällig verirren als in das beschauliche Mettmenstetten. Drei Lebensmittelläden findet man in der Zürcher Gemeinde nahe der Kantonsgrenze zu Zug und den Aargau, ein Kinderheim auch, und dann noch viel Besinnlichkeit und Ruhe. Mettmenstetten bietet also wenig Grund zur Annahme, eine Entwicklungs- und Trainingsstätte für Topsportler zu sein. Und doch reisen im Sommer Athleten aus x Kilometern Entfernung in das Dorf, das knapp 5000 Einwohner zählt.

So inszenierte sich Mettmenstetten am vergangenen Sonntag einmal mehr als Pilgerort der Aerials-Szene. Immerhin schraubten sich beim diesjährigen FIS Freestyle Masters mit dem Weissrussen Anton Kuschnir und seiner Landsfrau Alla Zuper neben den Schweizer Athleten auch die Olympiasieger von Sotschi 2014 hoch in die Schweizer Luft. Seit Jahren trainieren die Weissrussen neben weiteren ausländischen Skiakrobaten im Sommer auf der Wasserschanze in Mettmenstetten.

«Davon, dass die absolute Weltelite den Sommer im ‹Jumpin› verbringt, profitieren wir mit», sagt Aerials-Nationalcoach Michel Roth gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Erstens bringen die ausländischen Athleten der Anlage Einnahmen, zweitens ist es auch Motivation, mit den Besten der Besten auf der gleichen Schanze zu trainieren. Zudem spare man selber Geld, wenn man im Sommer nicht ins Ausland reisen und dort auf einer Wasserschanze trainieren müsse.

Gerade deshalb ist die Wasserschanze im Säuliamt für Roth von existenzieller Relevanz. «Ohne das ‹Jumpin› in der Schweiz könnte das Aerials-Team so sicher nicht existieren», ist sich Roth sicher. Könnte es überhaupt existieren? Geschickt laviert Roth um diese Frage herum: «Den finanziellen Aufwand und das viele Reisen würden höchstens ein oder zwei Athleten mitmachen.»

Dem «Jumpin» und Mettmenstetten sei Dank, weiss man die definitive Antwort auf die Existenzfrage der Skiakrobaten nicht. Was man hingegen weiss, ist, wieso Mettmenstetten zum Tummelplatz von Spitzenathleten geworden ist. Zu tun hat dies besonders mit zwei Dingen: den Geschehnissen des Jahres 1994 in Lillehammer - und dem Zufall. Die Geschichte des «Jumpin» nahm ihren Anfang vor 24 Jahren rund 1800 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem die Trainingsanlage für Skiakrobaten und ganz allgemein vieler Freestyle-Wintersportler nun steht.

Der Startschuss der Idee zum Bau einer Wasserschanze für Skiakrobaten sei tief in einer Partynacht in Lillehammer gefallen, erinnert sich Initiator Sonny Schönbächler. Gemeinsam mit dem damaligen und noch heute aktiven Nationalcoach der Skiakrobaten, Michel Roth, feierte Schönbächler nicht nur seine Olympia-Goldmedaille in der Disziplin Aerials. Gemeinsam schmiedeten die beiden bis heute gut befreundeten Vorreiter der Szene Zukunftspläne, ihren Sport in der Schweiz weiter voranzutreiben.

Ohne Schönbächlers Coup in Lillehammer wäre es illusorisch gewesen, in der Schweiz an den Bau einer Wasserschanze zu denken. Der Zufall wollte es anders. Der damals 28-jährige Schönbächler war in der Olympia-Saison aus dem Sportler-Ruhestand zurückgekehrt, um Teil des ersten Aerials-Wettkampf an Olympischen Spielen zu sein. Er wurde nicht nur Teil des Wettkampfs, er dominierte ihn. Doch trotz des Erfolges war der Plan von Schönbächler und Roth in der Schweiz nicht problemlos umzusetzen.

«Wir habe sämtliche Gemeinden im Säuliamt angefragt, ob sie ein Stück Land für das Projekt zur Verfügung stellen könnten. Von allen erhielten wir eine Absage, nur Mettmenstetten hörte sich den Vorschlag an», sagt Schönbächler. Mettmenstetten sagte schliesslich zu. Am Südrand des Dorfes fand sich Platz für das Trainingszentrum, für die Trampoline, für den Swimmingpool, für die Anfahrtsrampe und die bis zu knapp sieben Meter hohen Schanzen. Seit 1996 trainiert dort die Freestyle-Elite, bis 2006 unter Präsident Schönbächler, die letzten zwölf Jahre unter Andreas Isoz.

Es ist also dem Erbe von Schönbächlers Coup 1994 zu verdanken, wenn auch heute noch Olympiasiegerinnen und Olympiasieger ihr Vorbereitungsprogramm in den Sommermonaten zum Teil im beschaulichen Mettmenstetten verbringen. Und es ist diesem Erbe zu verdanken, dass es das Aerials-Team heute noch in diesem Format gibt, dass die Schweiz mit Noé Roth, dem Sohn von Trainer Michel, gar den Junioren-Weltmeister stellt. Und es ist Schönbächlers Erbe geschuldet, dass Mettmenstetten an manchen Tagen, so zuletzt am Sonntag während des FIS Freestyle Masters, seine Ruhe und Besinnlichkeit für ein paar Stunden verliert.

veröffentlicht: 24. August 2018 10:11
aktualisiert: 24. August 2018 10:21
Quelle: SDA

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