Sturm aufs Kapitol

Amerika-Expertin: «Diese Bilder werden sich in unser Gedächtnis einbrennen»

07.01.2021, 13:19 Uhr
· Online seit 07.01.2021, 12:32 Uhr
Stunden nach der Stürmung des US-Kapitols in Washington stellt sich nun die Frage, wie es mit Amerika weitergeht. Die HSG-US-Expertin Claudia Franziska Brühwiler spricht über beelendende Bilder, wie es so weit kommen konnte und warum es Hoffnung gibt.
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Claudia Franziska Brühwiler, Sie sind Amerika-Expertin an der Uni St.Gallen, wir nehmen an, Sie hatten eine kurze Nacht – wie haben Sie die Geschehnisse in Washington erlebt?

Ich war schockiert. Ich hatte erwartet, dass wir Experten an diesem Tag kurz erörtern müssen, wie dieses ganze Bestätigungsverfahren von Joe Biden unnötig und unwürdig in die Länge gezogen wird. Aber wie viel unwürdiger und schmerzhafter dieser Tag sich entwickeln würde, das hätte ich mir nicht träumen lassen.

Man hat zwar geahnt, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte. Aber ein Eindringen in das Kapitol und dass es sogar zu einem Todesfall kommt, das hat sich kaum jemand so vorgestellt.

Sind sie peinlich berührt, wenn sie solche Bilder sehen?

Nein, man ist nicht peinlich berührt. Man ist beelendet. Es ist ein trauriger Höhepunkt einer problematischen Präsidentschaft. Man wollte nie dramatisieren, sondern nüchtern einordnen. In Wahrheit mussten die demokratischen Institutionen vielem Stand halten während den letzten vier Jahren.

Man muss aber auch betonen, dass da einige Extremisten unterwegs waren. Das ist kein Spiegelbild Amerikas und auch kein Spiegelbild des durchschnittlichen Trump-Wählers. Gleichzeitig haben zu viele Leute etwas in Kauf genommen, die es eigentlich besser hätten wissen müssen.

Wie würden Sie allgemein dieses Ereignis einschätzen?

Man hat ein Misstrauen in die politischen Institutionen bewirtschaftet, vor allem von höchster Stelle. Eigentlich ist ein Präsident der Wahrer der demokratischen Ordnung, dazu gehören auch die Wahlen. Es ist einmalig, dass gerade ein Präsident nun haltlose Vorwürfe in die Welt gesetzt und beflügelt hat, Verschwörungstheorien repetiert und mit Gewaltbereitschaft und Frustration zündelt. Das alles ist einmalig.

Versteht Trump, was er angerichtet hat? Was glauben Sie, geht in ihm vor?

Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage. Es gibt so viele «Million-Dollar Questions»: Was geht in ihm vor? Was treibt ihn an? Ich glaube, Trump war sich in seiner Rolle als Präsident nie richtig bewusst, dass das mehr ist als nur das Führen von Regierungsgeschäften. Dass es mehr ist als ein Amt, das einem selber weiter bringt. Ein Stück weit war ihm wahrscheinlich auch gleichgültig, was für eine Symbolkraft und moralische Verantwortung das US-Präsidentschaftsamt mit sich bringt.

Muss man von einen geschichtsträchtigen Moment sprechen?

Diese Bilder rund um das Kapitol am 6. Januar 2021 werden sich in unser politisches Gedächtnis einbrennen. Vor allem in das politische Gedächtnis der Amerikaner.

Ich muss ehrlich sein: Im Moment fällt es schwer, nicht emotional zu sein. Ich möchte einfach nur nochmals betonen, dass dies ein Mob war und nicht den durchschnittlichen Trump-Wähler repräsentiert. Fakt ist aber auch: Wir Schweizer würden uns wesentlich schneller erholen, wenn wir aus dem Bundeshaus solche Bilder sehen würden. Nicht, dass wir ein solches Ereignis auf die leichte Schulter nehmen würden, aber wir sehen das Bundeshaus nicht als heilige Halle unserer Demokratie. Die Amerikaner hingegen haben teilweise schon fast einen religiösen Zugang zu ihrer politischen Kultur und dem Kapitol in Washington.

Was für einen Effekt hat dieses Ereignis?

Bei der breiten Bevölkerung wird dieses Ereignis als verstörend wahrgenommen. Man hat in der Vergangenheit immer wieder gesehen, dass die Unterstützung für Milizen und Randgruppen immer dann zusammengekracht ist, wenn tatsächlich die öffentliche Sicherheit in Gefahr war, die zum amerikanischen Selbstverständnis gehört.

Aufseiten der Republikaner wird dies vor allem den moderaten Flügel wachrütteln, sich stärker zur Wehr setzen zu müssen. Es hat ja bereits einige Trump-Anhänger aufgerüttelt. Ich denke, man kann die Hoffnung haben, dass es vielleicht zu einer Veränderung im politischen Zusammenspiel kommt.

veröffentlicht: 7. Januar 2021 12:32
aktualisiert: 7. Januar 2021 13:19
Quelle: FM1Today

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