Backpacken: Ein Insta-Albtraum
Mein Herz pochte. Endlich war es soweit, ich stand kurz davor, mir meinen grossen Traum zu erfüllen und für zwei Monate nach Südamerika zu reisen. Rucksack gepackt, Pass kopiert, Flugdaten gecheckt. Im Flugzeug drehte ich mit schwitzigen Fingern die Musik lauter und freute mich auf eine Reise, fern ab von Alltag und Schein. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich auf direktem Weg in die Welt der Oberflächlichkeit befand.
Der «Place to be»
Kaum hatte ich einen Fuss auf den neuen Kontinent gesetzt, schwamm ich als unerfahrene Backpackerin direkt im Strom aller anderen Reisenden, geführt von hostelworld.com (und nein, das ist um Himmels Willen keine Werbung). Angekommen am «Place to be» – irgendein überfülltes Partyhostel – stellte ich fest, dass die Haare im Abfluss, das überschwemmte Badezimmer und durchgelegenen Matratzen keine Rolle spielten. Viel wichtiger war es, möglichst viele neue Instagram-Follower zu finden, die man in seiner Story verlinken konnte.
Die Biervernichtungsmaschine
In ebendiesem Partyhostel traf ich sogleich auf Stereotyp Nummer 1: Die Biervernichtungsmaschine. Ich erkannte ihn am grossen Bier, das er schon ab 11 Uhr in der Hand hatte. Meist englischer Abstammung und noch ziemlich jung, ist dieser Backpacker einer der Nervigsten. Egal ob Landschaft, Kultur oder Einheimische – die Biervernichtungsmaschine scheisst auf alles – was zählt, ist nur der nächste Rausch. Gute Gespräche waren mit ihm undenkbar, da er meist im Rudel auftritt und sich dort hauptsächlich durch Grölen und Johlen unterhält. Ab und zu knipst die Biervernichtungsmaschine ein Foto, um seinen drei Insta-Followern zu zeigen, dass bei ihm die Party richtig abgeht.
Der Schönling
Der Schönling ist der Gegenpol der Biervernichtungsmaschine. Auch ihn traf ich im Partyhostel. Schon früh morgens schlich er sich aus dem Schlafsaal, um im Vorraum seine täglichen Situps zu machen. Bei der Ankunft erkundigte er sich gleich, wo es ein Fitnesstudio in der Nähe gibt und ob er zum Frühstück anstatt Brot 14 Eier serviert bekommen könnte. Alkohol war für ihn selbstverständlich tabu. Seinen Instagram-Namen trägt der Schönling quasi auf der Stirn und ständig ist er bemüht, sich auf der Dachterasse mit nacktem Oberkörper abzulichten. Freundlich fragt er seine Mitmenschen nach ihren Namen, um sie gleich darauf wieder zu vergessen.
Die BFFs
Meist war der Schönling umgeben von zwei hübschen Frauen, den sogenannten BFFs. Die besten Freundinnen reisen im Minimum ein halbes Jahr zusammen durch die Welt, haben schon soooooo vieles gesehen und finden absolut alles «amazing». Viel zu oft fragten sie mich «How long are you going to travel for?». Nur um mir dann detailgetreu ihre eigene Reise zu beschreiben. Neben ihrem gemeinsamen Insta-Account führen die BFFs selbstverständlich auch einen Reiseblog und sind ständig damit beschäftigt, alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern, nicht etwa, weil es sie wirklich interessiert, sondern weil sie auf der Jagd nach dem perfekten Foto sind. Meist sind sie darauf nur von hinten zu sehen.
Die Besserwisserin
Die natürliche Feindin der BFFs ist die Besserwisserin. Im Gegensatz zu den BFFs nimmt sie das mit dem Reisebudget unglaublich genau. Es amüsierte mich zu sehen, wie sie regelrecht ein Battle daraus machte, welche Orte sie schon günstiger bereisen konnte als die anderen. Abends sass sie oft alleine im Bett und las in ihrer Bibel, dem «Lonely Planet». An richtigen Kontakten war sie nicht interessiert, denn sie möchte, «uuuuh gerne zu sich selbst finden». Meist verdrehte sie die Augen, wenn andere auswärts essen gingen und schmiss dabei den Wasserkocher für ihre Fertig-Nudelsuppe an. Die Besserwisserin wusste alles – wirklich alles – über das Land und versorgte mich immer wieder mit Infos, egal ob ich gefragt hatte oder nicht. PS: Sie war die einzige ohne Instagram, weil Internet zu teuer ist.
Nicht das Schönste – aber lehrreich
Dies war nur eine kleine Auswahl an Stereotypen, die man auf Reisen trifft. Vielleicht darf man diesen Text auch nicht zu ernst nehmen, da ich ihn unter Einfluss stinkender Socken, schmuddeligen Bettdecken und klebrigen Badezimmerböden geschrieben habe. Schliesslich ist es an einem selbst, was man aus solchen Situationen macht und ob man sich bemüht, auch zu anfänglich oberflächlich wirkenden Personen einen Draht zu finden. Ich habe mich auf meiner weiteren Reise von Partyhostels ferngehalten, habe doch noch tiefe Gespräche am Lagerfeuer geführt und Menschen getroffen, mit denen ich noch immer Kontakt habe. Reisen ist vielleicht nicht immer das Schönste auf der Welt, aber nie habe ich so viel über mich und meine Mitmenschen gelernt. Und genau diese Erfahrungen habe ich festgehalten auf — okay, ich geb’s ja zu — mehreren Instagram-Fotos.