Brückeneinsturz: Eine «vorhersehbare Tragödie»

15.08.2018, 15:35 Uhr
· Online seit 15.08.2018, 10:44 Uhr
Die eingestürzte Morandi-Brücke in Genua ist schon lange umstritten. Die Ingenieurswebseite «ingegneri.info» nannte das Unglück am Mittwoch eine «vorhersehbare Tragödie» - es habe immer schon «strukturelle Zweifel» am Bau des Ingenieurs Riccardo Morandi gegeben.
Fabienne Engbers
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Das Wichtigste zusammengefasst:

Ein rund 100 Meter langer Abschnitt einer Autobahnbrücke in Genua stürzte aus einer Höhe von mehr als 40 Metern in die Tiefe. 42 Menschen starben; es gibt 16 Verletzte, wovon sich zwölf Personen in einem kritischen Zustand befinden.

Über die Ursache des Einsturzes werden bereits Vermutungen angestellt, möglicherweise war die Brücke marode und ist wegen Baumängeln oder fehlender Unterhaltsarbeiten eingestürzt. Der Einsturz fand während eines heftigen Unwetters statt, offenbar hat zur Zeit des Brückeneinsturzes ein Blitz in der Nähe eingeschlagen.
Der Polcevera-Viadukt, das umgangssprachlich nach seinem Planer Riccardo Morandi benannt ist, ist eine innerstädtische Autobahnbrücke mit einer Gesamtlänge von 1182 Metern. Sie bildet den Beginn der A10 von Genua nach Ventimiglia, die entlang der italienischen Riviera durch Ligurien bis zur französischen Grenze verläuft.

Die Brücke wurde zwischen 1963 und 1967 gebaut. Der inzwischen verstorbene Morandi ist für seine Brückenbauten berühmt, bei denen er eine spezielle Konstruktionsweise mit Spannbeton, also Beton mit gespannten Stahleinlagen, verwendete. Schon lange seien allerdings die Probleme dieser Bauart bekannt, kritisierte Antonio Brencich, ein Experte für Betonbau von der Universität Genua.

«Morandi wollte eine Technologie verwenden, die er patentiert hatte und die danach nicht mehr benutzt wurde», sagte er dem Sender Radio Capitale. Diese Technologie habe «versagt». Brencich hatte schon vor Jahren Bedenken über das 1,18 Kilometer lange Bauwerk geäussert.

Eigentlich waren Brücken wie diese auf etwa ein Jahrhundert angelegt, schrieb «ingegneri.info» - die Morandi-Brücke sei aber bereits in den Jahren nach der Fertigstellung baufällig gewesen. Zuletzt mussten demnach Anfang der 2000er Jahre Tragseile ersetzt werden, die erst in den 80er und 90er Jahren eingebaut wurden.

«Riskio wird unterschätzt»

«Vor 50 Jahren hatten wir uneingeschränktes Vertrauen in Stahlbeton», sagte Diego Zoppi, Ex-Präsident der Architektenkammer in Genua. «Jetzt wissen wir, dass er nur ein paar Jahrzehnte hält.» Er warnte vor weiteren derartigen Unglücken, wenn keine umfassenden Bauarbeiten an Nachkriegsbauten vorgenommen würden. «Das in den 50er und 1960er Jahren gebaute Italien hat Renovierungen dringend nötig. Das Risiko von Einstürzen wird unterschätzt», sagte Zoppi.

Die Brücke überspannte dutzende Bahngleise sowie ein Gewerbegebiet mit Gebäuden und Fabriken. Zum Unglückszeitpunkt am Dienstag wurden Wartungsarbeiten an der Brücke vorgenommen, überdies gab es ein Unwetter. Laut der Nachrichtenagentur Radiocor gab es kürzlich eine Ausschreibung für die Instandsetzung der Brücke. Dabei sei es um eine Stärkung der Tragseile gegangen - unter anderem an dem nun eingestürzten Abschnitt.

Brücke wird komplett abgerissen

Schon im Jahr 2009 war über einen Abriss nachgedacht worden, doch jedes Jahr fahren 25 Millionen Autos über die Morandi-Brücke. Italiens Vize-Minister für Infrastruktur, Eduardo Rixi, kündigte nun den Abriss der gesamten Brücke an.

Die Autobahnbrücke liegt auf der sogenannten Blumenautobahn A10, einer auch von zahlreichen Touristen genutzten wichtigen Verkehrsachse an der italienischen Riviera, die Genua mit Ventimiglia an der französischen Grenze verbindet.

veröffentlicht: 15. August 2018 10:44
aktualisiert: 15. August 2018 15:35
Quelle: SDA

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