Bildende Kunst

Farben und Formen in Kunstwerken haben keine universelle Wirkung

13.05.2020, 20:28 Uhr
· Online seit 13.05.2020, 20:05 Uhr
Rote Farben sind warm, runde Linien weiblich, gedeckte Töne traurig. Oder? In der Kunstbetrachtung haben sich intuitive Annahmen über die Wirkung ästhetischer Elemente als Allgemeinplätze durchgesetzt. Eine Studie zeigt aber, dass das fast jeder etwas anders sieht.
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Im interdisziplinären Ästhetik-Lab der Uni Wien hat man genauer hingeschaut - die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal «Plos One» publiziert. Ganz so einfach ist es nämlich nicht mit der ästhetischen Urteilsbildung.

«In der Kunstgeschichte geht man davon aus, dass bestimmte Effekte von Farben und Formen universell sind», erklärt Eva Specker, Erstautorin von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA. Gemeinsam mit den Kunsthistorikern im Team wurden Skalen besonders häufig in der Kunstbeschreibung benutzter Eigenschaften konstruiert. Warm und kalt, schwer und leicht, männlich und weiblich, aggressiv und friedlich, insgesamt 14 Stück.

Für die Studie bewerteten zwei Gruppen - Kunstexperten und Laien - auf diesen Skalen eine Reihe abstrakter Bilder von Wassily Kandinsky, Joan Miró und Fritz Winter. Zusätzlich bewerteten sie auch isolierte Elemente - Farben und Formen - aus den gleichen Werken. Später wurde die Studie mit den selben Teilnehmern wiederholt, um zu prüfen, wie robust die gewonnenen Daten sind und danach ein weiteres Mal mit neuen Teilnehmern repliziert.

Betrachter sind sich selten einig

«Die Übereinstimmung der Teilnehmer war wesentlich geringer als angenommen», berichtet Specker. Nur bei drei von 14 Eigenschaftspaaren - nämlich «warm-kalt», «schwer-leicht», «fröhlich-traurig» waren sich die Betrachter einig, überall sonst hatten die Bilder ganz unterschiedliche Wirkungen - und zwar bei Kunsthistorikern ebenso, wie bei Laien.

Dass sich die vermeintlichen Gesamteindrücke direkt auf bestimmte Farben oder Formen zurückführen lassen, konnte ebenso wenig bestätigt werden: Die Bewertungen ganzer Kunstwerke fielen anders - und wesentlich einheitlicher - aus, als die einzelner Elemente.

Gründe für Differenzen unbekannt

Selbstverständlich benutzte Begriffe und Phrasen in der Kunstinterpretation und als «objektiv» gesetzte Eigenschaften von Kunstwerken werden mit diesen Ergebnissen infrage gestellt. Der Wechsel der Modalität - also etwa von Farbe zu Emotion - ist offenbar kein einheitlicher Prozess.

«Die Kunsttheorie ist voll von solchen Bild-Beschreibungen - nicht nur der Kunsthistoriker, sondern auch der Künstler selbst», so Specker. Kandinsky führte etwa genau aus, welche Wirkungen er mit bestimmten Farb- und Formanordnungen zu erzielen meinte. Gerade für die abstrakte Kunst hat die Aufladung von Farb- und Formelementen mit einer universell entschlüsselbaren Bedeutung natürlich hohe Relevanz.

Die Ursachen hinter den unterschiedlichen Bewertungen lassen sich aus der aktuellen Studie nicht ableiten - sie könnten Faktoren der Persönlichkeit ebenso miteinschliessen, wie sozial gelernte «Interpretationen». «Diese sozialen Effekte müssten dann aber bei Experten grösser sein - und das sind sie nicht.» Zwischen den beiden Testzeitpunkten waren die Einschätzungen jedenfalls stabil - eine kurzfristige situative Erklärung kommt daher nicht infrage.

*Fachartikellink: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0232083

veröffentlicht: 13. Mai 2020 20:05
aktualisiert: 13. Mai 2020 20:28
Quelle: sda

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