Gefährlichste Terror-Organisation der Welt

16.11.2015, 17:03 Uhr
· Online seit 16.11.2015, 15:08 Uhr
Mit den Anschlägen in Paris hat der «Islamische Staat» bewiesen, zu welch brutalen Angriffen er auch ausserhalb seines Stammgebietes fähig ist. Doch nicht religiöser Fanatismus macht die Miliz zur gefährlichsten Terror-Organisation der Welt.
David Scarano
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Die schreckliche Terrorserie am Freitagabend in Paris wird wie der 9/11 oder die Madrider Zuganschläge im kollektiven Gedächtnis bleiben. Mindestens 129 Menschen starben, über 300 wurden verletzt, viele davon schwer. Die Welt musste auf diese schreckliche Weise zur Kenntnis nehmen, dass der «Islamische Staat» eine neue globale Dimension erreicht hat. Die Terrormiliz, die bislang vornehmlich regional agierte, ist bereit, den Kampf nach Europa zu tragen. Und Paris dürfte erst der Anfang gewesen sein. Laut Frankreichs Premierminister Manuel Valls sollen weitere Anschläge gegen andere europäische Länder geplant sein - als Vergeltung für deren Interventionen in Syrien.

Anpassungsfähig und pragmatisch

Eine Bedrohung für das Abendland ist der «Islamische Staat» aber nicht primär wegen des Glaubensfanatismus - obwohl er den Dschihad, den heiligen Krieg, weltweit propagiert. Zur gefährlichsten Terror-Organisation der Welt machen ihn seine Wandelbarkeit und sein Pragmatismus. Christoph Reuter schreibt in seinem Buch «Die Schwarze Macht», dass der IS stets das getan habe, was ihm im jeweiligen Moment nutzte. «Scheinbar mühelos gegensätzliche Elemente vereinend, passt sich der IS stets aufs Neue an seine Umgebung an, tritt auf wie ein mutierender Virus.» Der Glaube sei dabei nur ein Mittel zum Zweck. In der schwersten Krise 2010 übernahmen beispielsweise ehemalige Kaderleute Saddam Husseins die Führung. Die Ex-Geheimdienst- und Militär-Angehörigen sind alles anderes als religiöse Extremisten, denn sie gehörten zur säkularen Baath-Partei an. Reuter nennt sie «glaubensfreie Ingenieure der Macht».

Die Anpassungsfähigkeit zeigt sich zudem bei der Bezeichnung. Ein halbes Dutzend Mal hat die Miliz den Namen geändert. Mit der Ausrufung des Kalifats im Juni 2014 ist sie zum Ursprung zurückgekehrt und nennt sich seither «Islamischer Staat».

Moderne Organisation

Laut der italienischen IS-Expertin Loretta Napoleoni unterscheidet sich die Miliz trotz Steinigungen, Scharia und Hinrichtungen auch durch ihre Modernität von allen bisherigen islamistischen Terror-Organisationen. Der IS nutzt geschickt die sozialen Medien, um seine Botschaften zu verbreiten. Die Ansprachen von Anführer Abu Bakr al-Baghdadi werden in mehrere Sprachen übersetzt und fast in Echtzeit über Facebook und Twitter verteilt. Videos der barbarischen Hinrichtungen setzt der IS als perverses Marketinginstrument ein. Denn er weiss, wie die moderne Informationsgesellschaft funktioniert. Nur extreme Gewalt mache laut Napoleoni Schlagzeilen in der mit Nachrichten überfluteten Medienwelt.

Kalifat errichten

Der IS ist aber mehr als eine Terrormiliz, sie will im Gegensatz zu Al-Qaida eine Nation bilden. Ursprünglich kämpfte er im Irak gegen die Besatzungsmächte. Nach dem Machtvakuum in Syrien dehnte er seine Aktivitäten auf das Nachbarland aus. Nun propagiert der IS die Rückkehr zum Kalifat. Er will im Nahen Osten einen Gottesstaat errichten und ein weiteres goldenes islamisches Zeitalter heraufbeschwören. Wie Napoleoni im Buch «Die Rückkehr des Kalifats» schreibt, will der IS Ähnliches schaffen wie Israel: Einen Staat im ehemaligen Land der Ahnen gründen, in dem die Gläubigen beschützt leben können. Mit dieser Botschaft zielt der IS ebenfalls auf schlecht integrierte Muslime in Europa. «Keine andere Organisation hat hinsichtlich der politischen Verhältnisse im Nahen Osten und der Frustration muslimischer Einwanderer ein solches Gespür und eine solche politische Intuition an den Tag gelegt», schreibt die Journalistin.

Der Islamische Staat kontrolliert inzwischen im Irak und in Syrien ein Gebiet, das grösser als Grossbritannien ist. In den vergangenen Wochen geriet er militärisch unter Druck, der Siegeszug wurde gestoppt. Experten wie Ulrich Tilgner im Interview mit dem Tages-Anzeiger werten die Anschläge in Beirut und Paris nun als globale Propaganda-Aktionen, um über eigene Schwächen hinwegzutäuschen.

veröffentlicht: 16. November 2015 15:08
aktualisiert: 16. November 2015 17:03
Quelle: dsc

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