Die EU müsse angesichts der Flucht hunderttausender Menschen «mutig und entschlossen» handeln, sagte Juncker am Mittwoch im Europaparlament in Strassburg. Schon am kommenden Montag müssten bei einem Sondertreffen der Innenminister die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden. Italien, Griechenland und Ungarn dürften mit der aktuellen Situation nicht alleingelassen werden.
Juncker verwies darauf, dass Flüchtlinge zuletzt lediglich 0,11 Prozent der europäischen Bevölkerung ausmachten. Im Libanon liege dieser Wert bei 25 Prozent - «und das in einem Land, dessen Einwohner nur ein Fünftel des Wohlstands der Menschen der Europäischen Union geniessen».
Bislang gebe es innerhalb der EU zu wenig Solidarität, sagte Juncker. «Unsere EU ist in keinem guten Zustand. Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Union. Und es fehlt an Union in dieser Europäischen Union.» Die Sprecher aller massgeblichen Fraktionen im Europaparlament reagierten positiv auf Junckers Forderungen.
Neben Vorschlägen für eine Umverteilung von weiteren 120'000 Asylsuchenden aus Ungarn, Griechenland und Italien nach festen Quoten stellte Juncker den Plan für eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vor. Auf ihr sollen die Türkei sowie Staaten des westlichen Balkans stehen - Albanien, Bosnien, Mazedonien, Kosovo, Serbien und Montenegro. Weitere Länder könnten in Zukunft folgen.
Zudem will die EU-Kommission mittelfristig einen festen Mechanismus etablieren, um weitere Diskussionen über die gerechte Verteilung von Flüchtlingen zu vermeiden.
Juncker kündigte zudem für 2016 ein Paket mit Vorschlägen zur legalen Einwanderung an. «Es reicht nicht aus, dass man gegen illegale Migration vorgeht, wir müssen legale Migration ermöglichen», sagte er.
Europa sei ein alternder Kontinent im demografischen Niedergang: «Wir brauchen Talente aus der ganzen Welt.» Asylbewerber sollten direkt ein Recht haben, arbeiten zu dürfen - auch wenn ihr Asylantrag noch geprüft werde: «Arbeit und Beschäftigung bedeutet Würde», sagte Juncker.
Die EU-Kommission will gegen Mitgliedsstaaten in den nächsten Tagen neue Strafverfahren wegen Verstössen gegen gemeinsame Asylregeln einleiten - wie etwa zu Aufnahmebedingungen und zur Abnahme von Fingerabdrücken.
Diese Registrierung soll es ermöglichen, dass die sogenannte Dublin-Verordnung umgesetzt werden kann. Sie regelt, dass derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt, für das Asylverfahren verantwortlich ist.
Juncker stellte Reformen am Dublin-System in Aussicht. Das Prinzip der Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen, das der Schengen-Vertrag garantiere, sei aber unantastbar: «Das Schengen-System wird unter dem Mandat dieser Kommission nicht abgeschafft werden», betonte Juncker.
Der EU-Kommissionspräsident forderte mehr Engagement bei der Bekämpfung von Fluchtursachen wie Armut und Arbeitslosigkeit in Afrika. Er kündigte einen Fonds an, der aus EU-Mitteln zunächst mit 1,8 Milliarden Euro ausgestattet werden soll und afrikanische Länder aus drei Regionen unterstützen soll: Sahelzone/Tschadsee, Horn von Afrika und Nordafrika.
Juncker forderte die Mitgliedsstaaten auf, sich mit weiteren Finanzmitteln zu beteiligen und auch die Entwicklungshilfe zu erhöhen.
Unterdessen warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Partnerstaaten in der Europäischen Union davor, mit einem Versagen in der Flüchtlingsfrage die Fundamente der Gemeinschaft zu beschädigen.
«Wenn Europa in der Flüchtlingsfrage versagt, dann ginge ein entscheidender Gründungsimpuls eines geeinten Europa verloren», sagte Merkel am Mittwoch in der traditionellen Generaldebatte über die Politik der deutschen Regierung im Bundestag in Berlin. «Nämlich die enge Verbindung mit den universellen Menschenrechten, die Europa von Anfang an bestimmt hat und die auch weiter gelten muss.»