Libanon

Libanons Präsident vertagt Gespräche über Regierungsbildung

16.12.2019, 18:11 Uhr
· Online seit 16.12.2019, 18:05 Uhr
Nach der gewaltsamen Eskalation bei den Protesten im Libanon hat Präsident Michel Aoun die Beratungen über die Bildung einer neuen Regierung vertagt. Auf Bitte des scheidenden Regierungschefs Saad Hariri würden die Gespräche auf Donnerstag verschoben.
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Das teilte Aoun teilte am Montag mit. Der Beginn der Parlamentsberatungen über die Neubesetzung des Postens des Ministerpräsidenten war zunächst am (heutigen) Montag geplant. In Beirut hatte es am Sonntag den zweiten Abend in Folge gewaltsame Zusammenstösse zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gegeben.

Hariri war am 29. Oktober unter dem Druck der Proteste mit seinem Kabinett zurückgetreten. Gespräche über die Bildung einer neuen Regierung wurden seitdem wiederholt vertagt. In dem komplexen politischen System des Libanon geht das Amt des Ministerpräsidenten traditionell an einen Sunniten. Oft dauert es aber Monate, bevor sich die Vertreter der verschiedenen Volksgruppen auf einen Kandidaten einigen können.

Unabhängiges Kabinett gefordert

Führende Vertreter der Sunniten sprachen sich vergangene Woche dafür aus, dass Hariri erneut mit der Regierungsbildung beauftragt werde. Bei den Demonstranten, die seit Mitte Oktober eine komplette Reform des politischen Systems und die Bildung einer Regierung aus unabhängigen Fachleuten fordern, stiess dies aber auf Unmut. Hariri selbst will das Amt des Ministerpräsidenten nur übernehmen, wenn er eine Expertenregierung bilden kann.

Die mächtige schiitische Hisbollah-Bewegung, die mit vier Ministern an Hariris bisheriger Regierung beteiligt war, lehnt dies aber ab. Der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah sprach sich am Freitag für eine «Regierung der nationalen Partnerschaft» aus, die keine der grossen Parteien ausschliessen würde. Bisher hätten sich die Parlamentsfraktionen aber auf keinen Kandidaten für den Ministerpräsidenten geeinigt, sagte Nasrallah.

Proteste gegen eine Rückkehr Hariris

In Beirut gingen am Sonntag tausende Demonstranten gegen eine Rückkehr Hariris auf die Strasse. Nachdem die Proteste im Zentrum der libanesischen Hauptstadt friedlich begonnen hatten, schlugen sie später in Gewalt um.

In der Nähe des Parlamentsgebäudes bewarfen Demonstranten die Sicherheitskräfte mit Wasserflaschen und Knallkörpern, wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Diese antworteten mit Tränengas und Wasserwerfern.

Das Libanesische Rote Kreuz teilte mit, es habe 45 Verletzte vor Ort behandelt und 28 ins Spital gebracht. Am Vorabend waren bereits dutzende Demonstranten und Sicherheitskräfte verletzt worden. Das Militär verurteilte das «verbreitete Chaos» am Samstag und kritisierte «die Zerstörung von privatem und öffentlichen Eigentum». Innenminister Reja al-Hassan forderte eine «schnelle und transparente» Untersuchung zu der Gewalt.

«Hisbollah verantwortlich für Gewalt»

Auch die Vereinten Nationen forderten eine Untersuchung. Die Vorfälle und der mögliche übermässige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte müssten geprüft werden, schrieb der Uno-Sonderkoordinator für den Libanon, Ján Kubiš, am Montag bei Twitter.

Es waren am Sonntag die bisher schwersten Ausschreitungen seit Beginn der Proteste im Oktober. Die Veranstalter erklärten, dass «Eindringlinge» der schiitischen Hisbollah und der Amal-Bewegung für die Gewalt verantwortlich seien.

Die Proteste richten sich gegen die gesamte politische Klasse, die die Demonstranten für Korruption und Misswirtschaft verantwortlich machen. Der Libanon leidet seit Jahren unter einer chronischen Müllkrise und ständigen Stromausfällen. Der Staat ist hoch verschuldet, und internationale Hilfen können nicht ausgezahlt werden, da zugesagte Reformen nicht vorankommen.

Frankreichs Aussenminister Jean-Yves Le Drian drängte die libanesische Führung am Sonntag zur raschen Beilegung der politischen Krise, die das Land lähmt, und sagte, andernfalls drohe eine «dramatische Situation». Der bei vielen Demonstranten verhasste Parlamentssprecher Nabih Berri warnte seinerseits in der Zeitung «Al-Achbar» am Montag vor einer «Hungersnot», wenn die Krise andauern sollte.

veröffentlicht: 16. Dezember 2019 18:05
aktualisiert: 16. Dezember 2019 18:11
Quelle: sda

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