Irak

Mindestens neun Tote und hunderte Verletzte bei Protesten im Irak

03.10.2019, 05:44 Uhr
· Online seit 03.10.2019, 01:30 Uhr
Bei Protesten gegen Korruption und Arbeitslosigkeit sind im Irak innerhalb von 24 Stunden mindestens neun Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Die irakische Regierung hat eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
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Nach teilweise gewaltsamen Protesten und Zusammenstössen von Polizei und Demonstranten mit mehreren Toten hat der irakische Regierungschef Adel Abdel Mahdi eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Dies berichtet die irakische Nachrichtenagentur Ina. Ausgenommen seien lediglich Mitarbeiter von Rettungsdiensten sowie Reisende auf dem Weg zum Flughafen.

Zuvor waren irakische Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Bagdad erneut mit Gewalt gegen Proteste vorgegangen. In mehreren Teilen der Stadt, aber auch in anderen Provinzen des Landes, hatten erneut Tausende gegen Korruption und politischen Stillstand demonstriert. Demnach versuchten Sicherheitskräfte mit Tränengas und Schüssen in die Luft, die Proteste aufzulösen. Auf Bildern des TV-Senders Al-Sharqiya war zu sehen, wie Demonstranten eine Strasse sperrten und Reifen anzündeten.

Proteste in fünf Provinzen

Demonstranten stürmten in fünf Provinzen des Landes laut Augenzeugen Gebäude und legten Feuer. In den Provinzen Nasirija und Dhi Kar wurde eine ab 20.00 Uhr geltende Ausgangssperre verhängt. In Bagdad erreichten die Protestler trotz einer anfänglichen Blockade durch Sicherheitskräfte den zentralen Tahrir-Platz, weitere versammelten sich später am Flughafen. In der sogenannten Grünen Zone, in der neben irakischen Regierungsgebäuden auch mehrere Botschaften liegen, waren verstärkt Sicherheitskräfte im Einsatz.

Schon am Dienstag waren in Bagdad und in anderen Städten des Landes Proteste gegen die politische Führung des Landes ausgebrochen, gegen die die Sicherheitskräfte mit Gewalt vorgingen. Dabei kamen nach Angaben der Regierung zwei Menschen ums Leben, mindestens 200 weitere wurden verletzt.

In Nassirija 300 Kilometer südlich von Bagdad wurden am Mittwoch fünf Demonstranten und ein Polizist erschossen. Die Regierung ordnete eine Untersuchung an. Ministerpräsident Mahdi, der sein Amt vergangenen Oktober angetreten hatte, rief zur Ruhe auf.

Uno ruft zu Zurückhaltung auf

Die Vereinten Nationen und die US-Botschaft in Bagdad zeigten sich angesichts der Gewalt besorgt und riefen zur Zurückhaltung auf. Jeder habe das Recht, frei zu sprechen, erklärte die Uno-Gesandte im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert.

Im Irak herrscht in der Bevölkerung unter anderem wegen der schlechten Infrastruktur und Arbeitslosigkeit grosser Frust. So gehört das Land zu den grössten Ölproduzenten der Welt, leidet aber unter einem Energiemangel. Viele Gebiete sind nach dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) noch immer zerstört.

«Wir wollen Jobs und bessere öffentliche Dienstleistungen. Wir fordern dies seit Jahren, doch die Regierung reagiert nicht», sagte Walid der Nachrichtenagentur AFP. Der arbeitslose Universitätsabsolvent Mohammed Dschuburi sagte, er fühle sich angesichts der Polizeigewalt «wie ein Fremder im eigenen Land». «Wir waren friedlich, doch sie haben geschossen.»

Der irakische Präsident Barham Saleh verurteilte die Gewalt und rief zu «Zurückhaltung und zur Einhaltung des Gesetzes» auf. «Friedlicher Protest ist ein Verfassungsrecht, das den Bürgern gewährt wird», betonte Saleh.

Regierungschef lobt Sicherheitskräfte

Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi, seit einem Jahr im Amt, lobte dagegen die Sicherheitskräfte und machte für die Gewalt nicht näher bezeichnete «Angreifer» verantwortlich, die «gezielt Opfer verursacht» hätten. In Online-Netzwerken stiessen diese Äusserungen auf Kritik.

Der nationalistische schiitische Prediger Moktada al-Sadr forderte eine «faire Untersuchung» der Gewalt auf dem Tahrir-Platz. Für Donnerstag rief er zu «friedlichen Sit-ins» und einem Generalstreik auf.

Korruption, Strom- und Wasserengpässe

Die irakische Regierung ist seit Jahren immer wieder mit Protesten gegen die verbreitete Korruption und die chronischen Engpässe bei der Strom- und Wasserversorgung konfrontiert. Teilweise gibt es nur vier Stunden Strom am Tag, und die Jugendarbeitslosigkeit liegt laut der Weltbank bei 25 Prozent.

Zu den Protesten hatte dieses Mal ungewöhnlicherweise keine Partei aufgerufen. Eine Zeitung sprach von den ersten Protesten «ohne Flagge, ohne Plakate und ohne Parteislogan».

veröffentlicht: 3. Oktober 2019 01:30
aktualisiert: 3. Oktober 2019 05:44
Quelle: sda

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