Coronavirus

Nach Ende von Null-Covid: Hunderttausende Tote in China befürchtet

21.12.2022, 21:05 Uhr
· Online seit 21.12.2022, 20:50 Uhr
Seit der Explosion der Corona-Fälle und dem abrupten Ende der rigorosen Null-Toleranz-Strategie in China vor zwei Wochen verbreitet sich das Virus mit hoher Geschwindigkeit im Milliardenvolk.
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Der Sprung ist gewaltig: Mussten Infizierte Anfang Dezember noch in Krankenhäuser, erlauben ihnen mehrere Metropolen heute sogar schon die Rückkehr zum Arbeitsplatz. Voraussetzung ist nur, dass sie keine oder nur leichte Symptome zeigen. So etwa geschehen in Guiyang in Südwestchina: Dort erging ein solcher Ruf zurück zur Arbeit an Beschäftigte von Supermärkten, medizinischen Einrichtungen, Lieferdiensten und Behörden. Das Parteiblatt «Global Times» sprach von einer «besseren Balance zwischen epidemischer Vorbeugung und sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung».

Harte Null-Toleranz-Politik plötzlich aufgehoben

Am 7. Dezember war nach fast drei Jahren Schluss mit Lockdowns, Zwangsquarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen. Doch sah die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Grund vor allem darin, dass die Situation ausser Kontrolle geraten ist und die harten Massnahmen nicht mehr durchgehalten werden konnten.

Die Wende traf die Krankenhäuser unvorbereitet, weil es bis dahin «keine Strategie» für eine Lockerung gab, wie ein europäischer Gesundheitsexperte schilderte. Viele der 260 Millionen älteren Menschen über 60 Jahre sind unzureichend geschützt: Nur 70 Prozent der mehr als 60-Jährigen und 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren haben eine Booster-Spritze bekommen. Moderne ausländische Impfstoffe sind aus politischen Gründen nicht zugelassen. Bei vielen Chinesen liegt die letzte Impfung weit zurück, so dass sie die Krankheit voll trifft.

Mehr als jeder Zweite an Corona erkrankt

Statt Krankenhäuser auszubauen und mehr Intensivbetten zu schaffen, waren vielmehr Quarantänelager für Zehntausende gebaut worden. Auch waren keine Vorräte an Medikamenten angelegt worden. Fieber- und Erkältungsmedizin oder Schnelltests waren sofort nach der Lockerung ausverkauft. Auch nach zwei Wochen fehlt der Nachschub: «Wir Chinesen sind zu viele», erklärt eine Apothekerin ihre leeren Regale.

Offizielle Zahlen zur Infektionslage gibt es nicht mehr, aber allein von den 21 Millionen Pekingern ist nach groben Schätzungen mehr als jeder Zweite erkrankt. Viele Restaurants, Unternehmen, Geschäfte, Banken haben geschlossen. Erst wochenlanger Lockdown, jetzt kranke Mitarbeiter: Viele Läden und Restaurants haben wirtschaftlich nicht überlebt, wie verklebte Fensterfronten in Einkaufszentren zeigen.

Bisherige Politik sei «völlig korrekt»

Lange hatte die chinesische Führung ihre Null-Covid-Strategie als Zeichen für die systemische Überlegenheit des kommunistischen Systems gegenüber westlichen Gesellschaften gepriesen. Eindringlich wurde das Volk vor den Gefahren des Corona-Virus und der Folgeschäden gewarnt. Doch jetzt, wo die Massnahmen nicht mehr greifen und der Preis für die zweitgrösste Volkswirtschaft steigt, wird das Risiko und die Schwere der Erkrankung mit ähnlicher Vehemenz heruntergespielt und die bisherige Politik als «völlig korrekt» verteidigt.

Die staatliche Propaganda wird nicht müde, davon zu sprechen, dass die Kehrtwende oder vielmehr «Optimierung», wie es beschönigend heisst, «zum richtigen Zeitpunkt» gekommen sei. Die Pandemie sei jetzt «kontrollierbar», wird beteuert.

Krematorien überlastet

Auch wenn die Krankheit mit Omikron nicht mehr so schwer verläuft, drohen China nach mehreren Studien zwischen einigen Hunderttausend bis hin zu fast einer Million Tote. Die Höhe hängt davon ab, wie schnell mit Booster-Präparaten geimpft wird, Medikamente zur Behandlung eingesetzt werden, wie viel Maske getragen wird oder weiter öffentliche und soziale Gesundheitsmassnahmen ergriffen werden.

Krematorien in Peking haben heute schon lange Wartezeiten. «Seit der Covid-Öffnung sind wir mit Arbeit überlastet», schildert eine Mitarbeiterin der Dongjiao-Einäscherunganstalt dem «Wall Street Journal». «Im Moment sind es 24 Stunden am Tag. Wir kommen nicht nach.» Viele Covid-Opfer werden in der Statistik aber gar nicht gezählt, weil die Todesursache vielmehr an Vorerkrankungen festgemacht wird. Nur wer nach einer Infektion an Lungenentzündung oder Versagen der Atemwege gestorben ist, wird nach einer sehr engen, neuen Definition auch als Corona-Toter gezählt.

veröffentlicht: 21. Dezember 2022 20:50
aktualisiert: 21. Dezember 2022 21:05
Quelle: sda

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