Ukraine-Krieg

Wie spreche ich mit Kindern über Krieg?

02.03.2022, 10:25 Uhr
· Online seit 02.03.2022, 06:15 Uhr
Seit dem Angriff auf die Ukraine prasseln fast minütlich neue Informationen auf uns ein. Aber nicht nur Erwachsene sind vom Krieg in Europa betroffen, sondern auch Kinder. Sie davon abzuschirmen, ist daher kaum möglich. Wie also damit umgehen? Wir haben mit Experten darüber gesprochen.
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Es sind Bilder, die schockieren: Russland greift die Ukraine an. Es herrscht Krieg mitten in Europa, was natürlich auch ganze Familien hierzulande beschäftigt. Auch Kinder sind unmittelbar von den Geschehnissen betroffen. Sie merken, wie sich die elterliche Stimmung bei dem Thema verändert, sehen die Bilder auf Social Media und im Fernsehen und hören womöglich die Nachrichten. Kinder bekommen mit, wie sich die Erwachsenen darüber unterhalten und beginnen, Fragen zum Thema Krieg zu stellen.

Wie also können Eltern mit ihren Kindern über den Krieg sprechen? Wie können sie ein Ereignis erklären, was für sie selbst nicht ganz greifbar ist? «Eltern sollen auf jeden Fall ehrlich reagieren und die gestellten Fragen der Kinder direkt beantworten – auch wenn es nicht einfach ist und emotional sein kann», sagt Moritz Daum, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich. «Oberstes Gebot ist genau zuhören.» Es bringe nichts, mit einem fünfjährigen Kind differenziert über die jeweiligen Angriffstaktiken zu diskutieren oder einem 15-Jährigen lapidar zu sagen, da zanken einfach zwei miteinander, so Daum weiter.

Kindern kein Gespräch «aufzwingen»

Das bestätigt auch Lulzana Musliu von Pro Juventute: «Es ist wichtig, die Ängste der Kinder ernst zu nehmen und sie nicht zu überfordern.» Sie empfiehlt, vor allem bei jüngeren Kindern nur die Fragen zu beantworten, die sie auch stellen und grausame Details wegzulassen. Dieser Meinung ist auch der Psychologe: «Vor allem Vorschulkinder und Kinder in der Primarschule haben eine ausgeprägte Fantasie. Ein kleiner Schnipsel an Informationen kann zu einem grossen Gebilde aufgebaut werden, welches mit einer sachlichen Antwort möglicherweise wieder reduziert werden kann.»

Allerdings sollten Eltern beim Thema Krieg auch nicht zu proaktiv sein. «Wenn das Kind keine Fragen stellt, weil es bislang noch recht wenig Berührungspunkte hatte, dann sollten Eltern dem Kind auch kein Gespräch aufzwingen», so Moritz Daum. Musliu fügt an: «Für viele Kinder ist das Thema Krieg zu abstrakt und daher auch nicht richtig fassbar. Da bringt ein proaktives Gespräch kaum etwas. Im Gegenteil: Es kann unter Umständen eher schaden.»

Bei einem Jugendlichen – also einem Kind ab ungefähr dreizehn Jahren – hingegen, das vor allem auch schon auf Social Media aktiv ist, kann «schon gefragt werden, was es über den Krieg weiss, ob es die Nachrichten mitbekommen hat und ob es allenfalls Thema in der Schule war», so Daum. So stelle man das Thema in den Raum, ohne es gross aufzubauschen und biete dem Jugendlichen die Möglichkeit, bei allfälligen Fragen auf die Eltern zuzukommen. Darüber hinaus «haben Eltern so auch die Möglichkeit, die Ereignisse mit den Kindern einzuordnen und sie dafür zu sensibilisieren, Fakten zu hinterfragen», gibt Lulzana Musliu an.

Kinder sind auf emotionaler Ebene viel empfindsamer

Sollten Eltern aber Veränderungen bei ihren Kindern wahrnehmen, so empfehlen sowohl Daum als auch Musliu, auf die Kinder emotional einzugehen: «Kinder sind sehr sensibel und nehmen jede Veränderung bei den Eltern oder bei Erwachsenen generell wahr. Sie spüren, ob die Eltern verunsichert, traurig, wütend sind oder auch Angst haben.» Wichtig sei hier aber, den Kindern nicht sachlich, sondern sanft und ehrlich zu erklären, was die Veränderungen bei den Eltern auslöst. «Eltern dürfen auch ruhig zugeben, dass sie nicht alle Antworten auf die gestellten Fragen kennen, denn häufig ist die Frage nach dem ‹Warum› nicht zu beantworten», führt die Sprecherin der Pro Juventute aus. «Man darf die Kinder hier auf keinen Fall anlügen oder ihnen sagen, dass nichts sei. Das ist keine gute Idee», entgegnet Daum.

Allerdings ist es ein ständiger Balanceakt. Auf der einen Seite muss man versuchen, die Angst der Kinder nicht zu schüren und damit zu vergrössern. Daher braucht es eine sachliche Ebene, um gezielt auf die gestellten Fragen einzugehen. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, die Kinder emotional abzuholen und auch die eigenen Ängste und Befindlichkeiten dem Kind näher zu bringen, weil es eben sehr empfindsam ist, wie Daum abschliessend festhält.

Welche Rolle spielt die Schule?

Unterstützend können dabei sicherlich auch Schulen wirken. «Der Krieg in der Ukraine ist auch in den Schulen Thema», erklärt Kathrin Scholl, Präsidentin des Aargauischen Lehrerverbands. «Die älteren Kinder werden damit sicherlich im Geschichtsunterricht konfrontiert und die Lehrpersonen werden auch im Rahmen des Unterrichts versuchen, den Konflikt richtig einzuordnen.» Aber auch hier gilt natürlich, auf die Fragen der Kinder gezielt einzugehen, wie Scholl ausführt.

«Je älter die Schülerinnen und Schüler sind, desto präsenter werden aktuelle Ereignisse im Schulunterricht eingebunden», sagt der Präsident des Zürcher Lehrerverbands Christian Hugi. In einigen Schulen könne auch – statt des regulären Unterrichts – auf die aktuellen Ereignisse und unterschiedlichen Positionen vollumfänglich eingegangen werden. Das müsse aber immer vom Alter abhängig gemacht werden. «Bei den älteren Kindern wäre das sicherlich eine Option, wenn die Relevanz zum Lehrplan gegeben ist. Bei Jüngeren hingegen gibt es diese Relevanz weniger», so Hugi.

(sib/maf)

veröffentlicht: 2. März 2022 06:15
aktualisiert: 2. März 2022 10:25
Quelle: ArgoviaToday/ZüriToday

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