Belarus

Zehntausende protestieren an Lukaschenkos 66. Geburtstag

30.08.2020, 18:36 Uhr
· Online seit 30.08.2020, 18:00 Uhr
Es war der mittlerweile 22. Protesttag in Belarus. Die Behörden hatten vor neuen Demonstrationen gewarnt. Viele liessen sich nicht davon aber einschüchtern. Nun geht die Staatsführung auch massiv gegen Journalisten vor. Wie fällt die Reaktion darauf aus?
dpa
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Zehntausende Menschen haben das vierte Wochenende in Folge in Belarus (Weissrussland) trotz beispielloser Drohungen der Behörden bei Massenprotesten den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko gefordert. Die Polizei ging am Sonntag an Lukaschenkos 66. Geburtstag gegen friedliche Demonstranten vor. Uniformierte steckten vor allem Männer in Gefangenentransporter, wie auf Bildern und Videos zu sehen war.

Ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete aus Minsk, dass der Unabhängigkeitsplatz komplett mit Metallgittern abgesperrt war. Dorthin wollten die Demonstranten ziehen. Mehr als 150 Menschen seien bis zum Nachmittag festgenommen worden, teilte das Innenministerium mit.

Uniformierte versuchten, mit Geländewagen, die an der vorderen Stossstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen im Zentrum zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf die Strasse legten. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht. Demonstranten riefen den Polizisten «Schande» entgegen. Bei Festnahmen waren auch Schreie zu hören. Vereinzelt wehrten sich die Bürger dagegen.

Zu dem Protest hatte die Demokratiebewegung aufgerufen. Lukaschenko solle an seinem Geburtstag sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht abgelaufen sei, hiess es. Protestmärsche gab es in Minsk an verschiedenen Stellen, aber auch in anderen Städten.

An den beiden vergangenen Sonntagen waren im Land Hunderttausende auf den Strassen zu Protesten gegen «Europas letzten Diktator», wie sie Lukaschenko nennen. Die Polizei war nicht eingeschritten. Der Sonntag gilt in Belarus als mittlerweile wichtigster Protesttag.

Bereits am Samstag gab es Proteste, an denen sich hauptsächlich Frauen beteiligten. Sie nehmen in der Demokratiebewegung in Belarus eine herausragende Stellung ein. Das Innenministerium sprach von landesweit 8500 Teilnehmern. 29 Menschen wurden festgenommen. Zuletzt waren die Sicherheitskräfte wieder verstärkt gegen Demonstranten vorgegangen. Zu Beginn der Proteste gab es Tausende Festnahmen.

Seit der Präsidentenwahl vor drei Wochen gehen die Menschen in dem zwischen Russland und EU-Mitglied Polen gelegenen Land jeden Tag auf die Strasse. Sie fordern den Rücktritt Lukaschenkos nach 26 Jahren an der Macht und Neuwahlen. Doch der beansprucht den Wahlsieg mit 80,1 Prozent der Stimmen für sich. Die Opposition hält dagegen Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin.

International steht die Abstimmung als grob gefälscht in der Kritik. Kremlchef Wladimir Putin bekräftigte am Wochenende dennoch, dass er Lukaschenko für den Wahlsieger hält. Mit Blick auf die Fälschungsvorwürfe meinte er: In der Welt sei nichts «ideal».

Bei einem Telefonat am Sonntag zu Lukaschenkos Geburtstag vereinbarten beide Präsidenten ein persönliches Treffen in Moskau, wie der Kreml mitteilte. Ein Zeitpunkt wurde aber nicht genannt.

Putin hatte seinen unter Druck stehenden Kollegen in Minsk zuletzt demonstrativ den Rücken gestärkt und ihm zugesichert, im Falle einer Eskalation notfalls Sicherheitskräfte seines Innenministeriums ins Nachbarland zu schicken. Moskau hatte zuvor dem Westen davor gewarnt, sich in den Machtkampf einzumischen.

In den vergangenen Tagen gerieten auch Journalisten ins Visier der autoritären Staatsführung. Mehreren Vertretern westlicher Medien seien die Akkreditierungen entzogen worden, berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur in Minsk. Einige seien bereits des Landes verwiesen worden. Die Behörden wollen damit offenbar eine Berichterstattung über die landesweiten Proteste verhindern.

Der Journalistenverband des Landes sprach von einem massiven Entzug der Arbeitserlaubnis auch für Medienvertreter aus Belarus, die für ausländische Fernseh- oder Rundfunksender, Zeitungen oder Nachrichtenagenturen arbeiteten. Betroffen war nach Angaben des WDR auch ein ARD-Kamerateam, das über Stunden in einer Polizeiwache festgehalten wurde. Es kam am Samstagvormittag wieder frei.

International gab es Kritik am Vorgehen der Behörden. «Wenn Journalistinnen und Journalisten willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage festgesetzt und durch den Entzug ihrer Arbeitserlaubnis an ihrer wichtigen Arbeit gehindert werden, dann ist das überhaupt nicht akzeptabel», sagte der deutsche Aussenminister Heiko Maas (SPD). Sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian sagte: «Die willkürlichen Massnahmen der belarussischen Behörden gegen Journalisten stehen im Widerspruch zur Pressefreiheit.»

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) rief die Bundesregierung zu konkreten Strafen für die Regierung in Minsk auf. Der WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn sagte, eine unabhängige Berichterstattung in Belarus werde «beinahe unmöglich gemacht». Tichanowskaja kritisierte die Annullierung der Akkreditierungen als Versuch, die Gesellschaft zu verängstigen und einzuschüchtern.

Ungeachtet dessen setzte das belarussische Militär am Sonntag seine Manöver bei Grodno im Westen des Landes fort. Dem Verteidigungsministerium zufolge kommen dabei auch Panzer, Fallschirmjäger und Artillerie zum Einsatz. Lukaschenko hatte damit gedroht, notfalls auch das Militär gegen Demonstranten einzusetzen.

veröffentlicht: 30. August 2020 18:00
aktualisiert: 30. August 2020 18:36
Quelle: CH Media

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