«Wie ein Gang in fremde Welten»

· Online seit 18.03.2018, 16:04 Uhr
Tabakkonsum, Sex vor der Ehe und Ausländerpolitik waren im Rheintal schon im Mittelalter ein Thema. «Die Rechtsquellen des Rheintals» geben Einblick in längst vergangene Zeiten.
Dario Brazerol
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Die Luft ist trocken im Archiv weit unter dem Altstätter Rathaus. Die Dokumente, die hier lagern, sind teilweise hunderte von Jahren alt. Der Geist der Geschichte wird fast greifbar. Mit weissen Stoffhandschuhen blättert der Historiker Werner Kuster vorsichtig in einem Buch, in dem der Hexenprozess einer Rheintaler Grossmutter und ihrer Enkelin dokumentiert ist. Sie wurden begnadigt, starben also nicht den Feuertod, sondern wurden vorher mit dem Schwert geköpft - für die damalige Zeit ein ehrenhafter Tod.

2127 Seiten Rheintal

Auf über 2100 Seiten hat Werner Kuster in zehn Jahren Arbeit das Rheintaler Rechtsgeschehen vom Frühmittelalter bis 1798 dokumentiert. Eine Mammutaufgabe, bei der vor allem Durchhaltevermögen gefragt war: «Ich habe rund 20'000 Fotografien der Quellen zu Hause transkribiert.» Hohe Feuchtigkeit und Schimmel haben den jahrhundertealten Quellen teilweise arg zugesetzt. Ausserdem wurde ein Grossteil der Rechtsdokumente damals noch von Hand und somit von so mancher «Rabenklaue» verfasst, was das Entschlüsseln nicht gerade vereinfachte.

Urkunden nutzbar machen

Um die Originaldokumente zu schonen und verständlich zu machen, mussten diese also digital aufbereitet werden, sodass sie trotzdem für ein breiteres Publikum zugänglich bleiben. «Wir müssen wissen, woher wir kommen. Darum sind diese Dokumente für die Geschichtsforschung sehr wichtig», sagt Werner Ritter, Rechtsanwalt und Präsident des «Verein für die Geschichte des Rheintals». Man könne aber auch Rückschlüsse auf die heutige Zeit ziehen: «Die Gemeinde Berneck hatte schon im 17. Jahrhundert Probleme mit randalierenden Jugendlichen.»

«Leute mussten erzogen werden»

Doch nicht nur die Jugendlichen sind ein Thema, welches auch heute noch aktuell ist. Der Tabakkonsum wurde schon damals als Laster gesehen und war darum für lange Zeit verboten. Lasterhaft war auch der voreheliche Geschlechtsverkehr: «Praktiziert wurde er trotzdem.» Ausserdem gab es das sogenannte Vorverkaufsrecht, welches es den Rheintalern erlaubte, an Fremde, also Ausländer, verkaufte Güter, innerhalb einer gewissen Zeit wieder zurück zu kaufen. Grundsätzlich war die Situation in der damaligen Zeit aber eine andere, sagt Kuster: «Die heutige Verfassung ist grossräumig und langfristig gültig. Damals war die Gesetzgebung stark territorial geprägt. Es gab verschiedene Herrschaftsgebiete und somit verschiedene Rechte in der Schweiz.»

Vergangen, aber nicht vergessen

«Wir können die Geschichte für das Verständnis der Gegenwart nutzen. Woher kommen wir? Was macht uns aus?» Das ist auch der Grund, weshalb sich der Historiker schon immer für die Thematik begeistert hat: «Es ist wie ein Gang in fremde Welten.» Welten, die wir schon längst hinter uns gelassen haben, die vielleicht nur noch in diesem Archiv unter dem Rathaus spürbar, aber durch die Arbeit von Werner Kuster sicher nicht vergessen werden.

Das Buch «Die Rechtsquellen des Rheintals» wird am 23. März veröffentlicht.

(dab)

 

veröffentlicht: 18. März 2018 16:04
aktualisiert: 18. März 2018 16:04

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