Winterthurer Gericht spricht acht An'Nur-Moschee-Gänger schuldig

23.10.2018, 15:10 Uhr
· Online seit 23.10.2018, 10:39 Uhr
Das Bezirksgericht Winterthur hat acht der zehn beschuldigten Mitglieder der ehemaligen An'Nur-Moschee verurteilt: Unter anderem wegen Freiheitsberaubung verhängte es bedingte Freiheitsstrafen oder Geldstrafen zwischen 6 und 18 Monaten.
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Auch wenn Aussage gegen Aussage stand - für das Winterthurer Bezirksgericht ist klar, was im November 2016 in der inzwischen geschlossenen An'Nur-Moschee im Stadtteil Hegi passierte.

Die Chronologie der Ereignisse lasse sich dank vorhandenen Chat-Protokollen, Anrufaufzeichnungen bei der Polizei sowie den Aussagen der Beteiligten minuten-, ja teilweise sekundengenau nachzeichnen, sagte der vorsitzende Richter am Dienstag in seiner detaillierten Urteilsbegründung.

Er sprach von einem insgesamt «stimmigen Bild»; der festgestellte Ablauf würde die Schilderungen der beiden Opfer bestätigen. Sie hätten zwar teilweise auch gelogen und übertrieben. Doch für das Gericht blieben sie dennoch glaubwürdiger, als die zehn Beschuldigten, die bei konkreten Fragen jeweils ausgewichen sind.

Damit folgte das Bezirksgericht in der Sache weit gehend der Anklage der Staatsanwaltschaft: Demnach ist eine Gruppe junger Männer in der An'Nur-Moschee auf zwei Besucher losgegangen.

Diese hatten in der umstrittenen Moschee «spioniert» - sie hatten unter anderem Fotos geschossen und sollen Journalisten einen Mittschnitt einer Predigt übergeben haben. Später kamen auch ein Imam und der damalige An'Nur-Präsident dazu. In einem Raum rangen sie den beiden «Verrätern» gemäss Anklage ein Geständnis ab.

Das Winterthurer Bezirksgericht verurteilte sieben beteiligte Männer im Alter zwischen 17 und 24 Jahren wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Drohung. Es sprach bedingte Freiheitsstrafen zwischen 6 bis 18 Monaten sowie bedingte Geldstrafen aus. Zwei Männer - ein Mazedonier und ein Afghane - werden zudem für sieben Jahre des Landes verwiesen.

Der Imam, der später zum Gerangel stiess, wurde nicht mit einer Freiheitsstrafe, sondern mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen (6 Monate) bestraft. Von einem Landesverweis sah das Gericht ab, der Libyer gilt - wegen seiner Familie - als Härtefall.

Der Vereinspräsident wurde hingegen vollumfänglich freigesprochen, ein weiterer junger Mann mangels Beweisen ebenfalls. Dieser hatte vorgebracht, sich bis zum Eintreffen der Polizei im Frauenraum aufgehalten und vom Angriff nichts bemerkt zu haben. Für das Gericht war dies zwar nicht besonders glaubhaft. Doch hatten die beiden Opfer ihn nicht explizit als Täter genannt - damit blieben Zweifel.

Für ihre Zeit, die sie im Gefängnis verbringen mussten, werden die beide Freigesprochenen mit 18'200 und 34'400 Franken entschädigt.

Mit seinen verhängten Strafen ist das Bezirksgericht unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft geblieben. Diese hatte anfangs Oktober im Rahmen der mehrtägigen Verhandlung teilbedingte Freiheitsstrafen von zweieinhalb bis drei Jahren gefordert.

Das Gericht gelangte unter anderem wegen des jugendlichen Alters der Beschuldigten zu tieferen Strafen. Ebenfalls strafreduzierend wirkte sich aus, dass sie - bis auf einen - Ersttäter sind. Und auch die «massive Vorverurteilung» in den Medien, die der Richter als eigentliche Kampagne bezeichnete, wurde zugunsten der Beschuldigten gewichtet.

Trotz der tieferen Strafen zeigte sich die zuständige Staatsanwältin in einer ersten Reaktion zufrieden: Das Gericht habe die Beschuldigten im Sinne der Anklage schuldig gesprochen. Das erstinstanzliche Urteil zeige klar auf, dass «Selbstjustiz nicht geht».

Die Beschuldigten und deren Verteidiger hatten im Laufe des Prozesses vorgebracht, dass es in der Moschee zu keiner Gewalt gekommen sei. Sie hätten die beiden «Spitzel» bloss zur Rede stellen wollen. Staatsanwaltschaft und Medien hätten die Vorfälle aufgebauscht, um Stimmung gegen Muslime zu machen.

Die Verteidiger hatten denn auch Freisprüche für ihre Mandanten gefordert. Vor dem Winterthurer Bezirksgericht hatten acht der zehn Beschuldigten damit keinen Erfolg. Sie können - wie auch die Staatsanwaltschaft - das erstinstanzliche Urteil vor Zürcher Obergericht ziehen.

Die An'Nur-Moschee in Winterthur-Hegi hatte in den vergangenen Jahren unter anderem wegen jugendlichen Dschihadreisenden landesweit für Schlagzeilen gesorgt. 2017 musste sie schliessen, da dem Verein der Mietvertrag nicht mehr verlängert wurde.

veröffentlicht: 23. Oktober 2018 10:39
aktualisiert: 23. Oktober 2018 15:10
Quelle: SDA

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