Albinen liegt an einem sonnigen Berghang auf 1300 Metern über Meer. Um die Dorfkirche gruppieren sich charakteristische Walliser Bergbauernhäuser und Chalets, von denen viele zu Ferienhäusern und -wohnungen umgebaut wurden. Eine Strasse verbindet Albinen mit dem Ferienort Leukerbad und Leuk im Rhonetal.
Beat Jost, der Gemeindepräsident von Albinen, schwärmt von «seinem» Dorf. Albinen zeichne sich durch Ruhe, eine phantastische Aussicht, gute Luft und viel Sonne aus. Ausserdem liege der Ort nur sechs Kilometer vom Thermalbadeort Leukerbad entfernt. Arbeitsplätze gebe es zwar nicht sehr viele, aber die Hauptstadt Sitten und der Industriestandort Visp seien mit dem Auto in 35 Minuten erreichbar.
Jost betont diese Vorzüge, weil Albinen wie viele andere Bergdörfer gegen die Abwanderung kämpft. In den letzten Jahren habe die Gemeinde drei Familien mit insgesamt acht Kindern verloren, erzählt Jost der Nachrichtenagentur sda. Die Dorfschule habe schliessen müssen; es bestehe dringender Handlungsbedarf.
Heute leben im 240-Seelen-Dorf noch zwei Primarschulkinder und fünf Oberstufenkinder, die mit dem Bus ins je 20 Minuten entfernte Leukerbad respektive nach Leuk zur Schule gehen. Jost möchte den Abwanderungstrend brechen und den Jungen wieder eine Perspektive geben. Bauland stehe genügend zur Verfügung.
Eine Gruppe junger Albinerinnen und Albiner hat im August eine Initiative für eine aktive Wohnbauförderung der Gemeinde eingereicht. Ihre Forderung, «der Abwanderung etwas Zählbares entgegen zu setzen», wurde von 94 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet - der Hälfte der stimmberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner.
Am 30. November wird die Gemeindeversammlung über die Initiative abstimmen können. Der Gemeinderat hat das Anliegen der jungen Leute aufgenommen und ein Reglement für eine aktive Wohnbauförderung erlassen, die fixe finanzielle Beiträge für Einzelpersonen, Paare und Familien mit festem Wohnsitz in Albinen beinhaltet. Die Beiträge sollen allen Interessierten unter 45 Jahren zugute kommen, die ein Eigenheim bauen oder eine Wohnung kaufen oder umbauen wollen.
Einzelpersonen sollen 25'000 Franken erhalten, Paare 50'000 Franken. Für jedes Kind würde die Gemeinde zusätzlich 10'000 Franken aufwerfen. Somit bekäme eine vierköpfige Familie 70'000 Franken geschenkt, eine fünfköpfige 80'000 Franken.
«Zweitwohnungen und grosse Wohnüberbauungen von Investorengruppen kommen nicht in Frage», stellt der Gemeindepräsident klar. Und: «Wer vor Ablauf von zehn Jahren nach Baubeginn oder nach dem Wohnungskauf wieder wegzieht, muss das Geld zurückzahlen.» Voraussetzung ist zudem, dass die Investitionssumme mindestens 200'000 Franken beträgt.
Die Gemeinde will einen Fonds schaffen, der während fünf Jahren jährlich mit 100'000 Franken geäufnet werden soll. Somit stünde fürs Erste eine halbe Million Franken zur Verfügung.
Die Abwanderung sei ein schleichender Prozess, der sich seit mehreren Jahrzehnten abspiele, hielt Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), auf Anfrage der sda fest. Die Schliessung einer Poststelle möge für sich allein genommen noch kein ausreichender Faktor sein, aber wenn auch der Dorfladen schliesse, das letzte Restaurant zugehe und der Doktor keinen Hausbesuch mehr mache, könne es dramatisch werden.
Die Berggemeinden versuchten deshalb Gegensteuer zu geben und setzten dabei je nach ihren Möglichkeiten auf ganz unterschiedliche Massnahmen. Die Gemeinde Inden VS gewährt laut Egger zum Beispiel Rabatte für den Einkauf im Dorfladen, und die Gemeinde Safien GR gibt für ihre Jugendlichen ein Generalabonnement für den öffentlichen Verkehr innerhalb der Talschaft heraus.
Bemerkenswert ist laut dem SAB-Direktor auch das Beispiel der Walliser Gemeinde Gondo. Diese wurde im Jahr 2000 von einem gewaltigen Murgang zerstört und danach wieder aufgebaut. Heute installiere eine Computerfirma ein Rechenzentrum in dieser kleinen Gemeinde, weil sie von günstigen Strompreisen und kühlen Einrichtungen in der ehemaligen Zivilschutzanlage profitiere.
Neben klassischen Infrastrukturen braucht es laut Egger heute auch moderne Dienstleistungen wie schnelles Internet oder Kindertagesstätten. Mit der fortschreitenden Digitalisierung eröffneten sich gerade für die Berggebiete völlig neue Möglichkeiten. «Das Hochhaus in Zürich kann problemlos auch von Vrin GR oder eben Albinen aus geplant werden», so Egger.
Der Gemeindepräsident von Albinen ist zuversichtlich, dass die Initiative angenommen wird. Das Geld wäre in seinen Augen gut investiert. Die Gemeinde würde von Steuer- und Gebühreneinnahmen profitieren, der Dorfladen durch mehr Kunden, das Gewerbe durch Bauaufträge und die Vereine durch junge Leute, die sich im Dorfleben engagieren würden. Im besten Fall könnte sogar die Schule wieder geöffnet werden.