Gutzwiller fordert neue Formen der Solidarität
«Heute weiss ich nicht, wie gesund mein Nachbar lebt, für den ich bei der Krankenkasse mitbezahle», führt der Mediziner aus. Doch mit dem Voranschreiten der Digitalisierung lüfte sich der «Schleier des Nichtwissens» und da stelle sich dann die Frage, «ob ich als gesund lebender Mensch bereit bin, für jemanden zu zahlen, der nicht nach dem Lehrbüchlein lebt».
Es gebe bereits Ansätze wie das Crowdfunding als neue Formen von Solidarität, sagte Gutzwiller weiter. Doch das Potenzial dieser Methode sei begrenzt. Mit emotionalen Themen, wie schwerkranken Kindern, könne man derzeit zwar noch viel Geld einsammeln. «Doch wenn der hundertste derartige Fall auftaucht, wird es sehr viel schwieriger sein, die benötigten Mittel für eine Behandlung zusammenzukriegen», erklärte er.
Viele Neudefinitionen nötig
Auch die im Umweltbereich praktizierte Idee, einen gewissen Geldbetrag für gemeinschaftliche Zwecke zu zahlen, könnte bei den Krankenkassenprämien sogar sozial-romantisches Wunschdenken sein. «Es braucht ein neues Verständnis dafür, was der Sozialstaat noch leisen soll», betonte Gutzwiller.
Weil die Digitalisierung neben Gewinnern auch Verlierer hinterlasse, müsse es zudem politische Leitlinien geben, damit es nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft komme, sagte er. Freiheit, Verantwortung und Solidarität müssten aber in der digitalen Gesellschaft auf jeden Fall neu definiert werden, mahnte Gutzwiller gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung».