Zeit für einen Neuanfang

12.09.2017, 19:15 Uhr
· Online seit 12.09.2017, 17:20 Uhr
Vielleicht nahm die aktuelle Krise des FC St.Gallen just in der grossen Stunde des Erfolgs ihren Lauf: Nach der Qualifikation für die Europa League im Herbst 2013. Der Wunsch, sportlich den nächsten Schritt nach vorne zu tun, stürzte den Traditionsklub in eine Identitätskrise, welche dieser Tage selbstzerstörerische Züge annimmt. Ein Kommentar von Sportjournalist und TVO-Moderator Dominic Ledergerber.
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Der 29. August 2013 ist wohl jedem Fan des FC St.Gallen noch in bester Erinnerung. An jenem Tag siegten die Espen in Moskau mit 4:2 und sicherten sich den Einzug in die Gruppenphase der Europa League. Ein Traditionsklub trat aus dem Tunnel, in den er sich nur wenige Jahre zuvor – zum Teil selbstverschuldet – begeben musste.

Im Spätjahr 2010 lag der FC St.Gallen auf dem Sterbebett, der Konkurs schien unausweichlich, nachdem das Stadtparlament einer Kreditanfrage eine schallende Ohrfeige erteilte. In jenen düsteren Tagen schlug aber die Stunde des Dölf Früh, der den Klub unter Mithilfe weiterer Investoren sanierte und fortan landesweit für seinen Kurs gelobt wurde.

Völlig zurecht! Unter der Führung von Dölf Früh kehrte Ruhe ein und auch der sportliche Erfolg übertraf die Vorstellungen des kühnsten Optimisten. Als Aufsteiger sicherten sich die Espen in der Saison 2012/2013 den dritten Schlussrang, sie qualifizierten sich für die Europa League und treue Fans gründeten das Magazin SENF – in der ersten Ausgabe ein Akronym für «St.Gallen erkundet neue Feriendestinationen».

Eine unheilige Allianz

Es folgten Reisen nach Swansea oder Valencia, mit Jeff Saibene war erstmals seit langer, langer Zeit wieder ein St.Galler Trainer zu Gast in der SRF-Sonntagssendung Sportpanorama. Man wagte nicht mehr nur zu träumen, nein, man verlangte alsbald, dass sich diese Träume der Realität annähern.

Hier gründet die Identitätskrise, die gegenwärtig selbstzerstörerische Züge annimmt. Dölf Früh, der sich nur zu gerne an die öffentlichen Bauchpinseleien gewöhnt hatte, musste seine Budgettreue immer wieder rechtfertigen, doch irgendwann genügte das nicht mehr.

Es musste mehr her als das farblose Saisonziel Ligaerhalt. Dem Retter in den dunkelsten Stunden wurde klar: Weitere Anerkennung würde ihn nur dann ereilen, wenn er es schaffen sollte, den Klub auf die nächste Stufe zu heben. Als geeignet dafür erachtete Dölf Früh im März 2015 Marco Otero, einen fähigen Fussballmanager, der in der Vergangenheit bei den Grasshoppers und dem FC Basel allerdings mehr verbrannte Erde hinterlassen hatte als sportlich für Schlagzeilen zu sorgen.

«Alle haben Dölf Früh vor der Personalie Otero gewarnt. Doch er war der Überzeugung, dass er damit schon fertig werden würde», erinnert sich ein langjähriger Weggefährte Frühs, der nicht genannt werden will. Eine unheilige Allianz war geboren.

Entlassungen und Rücktritte «im gegenseitigen Einvernehmen»

Bereits vor der Installierung Oteros verliess mit Roger Zürcher der «geistige Vater» (BLICK) des Nachwuchsprojektes Future Champs Ostschweiz (FCO) den Klub. Zudem wurde dem ehemaligen Meister-Verteidiger Patrick Winkler mit viel Getöse gekündigt.

Was damals noch kaum jemand ahnen konnte: Es ist erst der Anfang einer Welle an Entlassungen und Rücktritten «im gegenseitigen Einvernehmen».

Den ersten öffentlich dokumentierten Machtkampf gegen Otero verlor Heinz Peischl im Mai 2015. Es ging um den Einfluss auf das Projekt FCO und es war eine Weichenstellung, die Dölf Früh persönlich vornahm. Indem er den Österreicher Peischl entliess, stärkte er gleichzeitig Oteros Position.

Seither wuchs und gedieh ein Clan nicht nur um Otero, sondern vor allem um den Berater Donato Blasucci. Dessen Sohn Noah zählt mittlerweile zum erweiterten Kader der ersten Mannschaft. Zudem soll Blasucci neben Otero auch andere Protagonisten wie Torhüter Daniel Lopar, Trainer Giorgio Contini, die Staff-Mitglieder Markus Hoffmann und Harry Körner oder etwa Ex-U21-Trainer Hakan Yakin betreuen.

Doch was kann der Wurm dafür, dass er wächst? Die Nahrung lieferte Dölf Früh. Just jener Ex-Präsident, der in den ersten Jahren seiner Amtszeit keine internen Streitereien duldete, nun aber Marco Otero durch alle Böden hindurch verteidigte. «So wie sich Otero aufführt, wäre er in jedem anderen Klub schon mehrmals rausgeflogen», sagt einer, der noch immer beim FC St.Gallen arbeitet.

Frühs Aktien versus Futura 2

Weshalb Dölf Früh dem «Otero-Clan» keinen Riegel schob, ist vielleicht DIE grosse Unbekannte in der Gleichung. So fokussiert sein Wirken in den ersten Jahren, genauso absurd war Frühs letzte Amtshandlung: Durch eine Organigramm-Änderung entmachtete er Sportchef Christian Stübi und installierte mit Ferruccio Vanin einen Sport-CEO.

Der Rücktritt Christian Stübis war nun nur noch eine Frage der Zeit. Und er rückte die internen Querelen rund um den ältesten Klub der Schweiz immer mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.

Der neue Präsident Stefan Hernandez – im Mai 2017 von Dölf Früh installiert – gab sich in der Folge alle Mühe, die Personalrochaden als branchenüblich abzutun. Nur mochte ihm keiner glauben, dass er die folgenden – völlig überraschenden – Abgänge von Verwaltungsrat Michael Hüppi und Event AG-Geschäftsführer Pascal Kesseli in Eigenregie anordnete. Zumal Dölf Früh sein Aktienpaket seit seinem Rücktritt auf 48,5 Prozent aufstockte.

Nun sind ja viele Beobachtungen rund um den FC St.Gallen Auslegungssache und werden von den jeweiligen Parteien abgestritten und bekämpft. Klar ist indes, dass die Sanierungspläne der Investoren von 2010 zwei Phasen umfassten: Futura 1, das Abwenden des Konkurses. Und Futura 2, das Verteilen der Aktien auf sechs bis sieben Ostschweizer Persönlichkeiten, wobei keine von ihnen mehr als 15 Prozent der Aktien halten soll.

«Der Klub gehört der Region, wir verwalten ihn nur», pflegte Dölf Früh stets zu sagen. Mit seinem Handeln dieser Tage nimmt er aktuell aber den gegenteiligen Weg unter die Füsse.

Frühs Denkmal leidet

Michael Hüppi begründete seinen Rücktritt mit der Aussage von Dölf Früh, ihn bei der nächsten Generalversammlung nicht wiederzuwählen. Überbringer dieser Botschaft soll der aktuelle Präsident Stefan Hernandez gewesen sein, was dessen Position nicht eben stärkt. Und dem «Otero-Clan» wird nach den jüngsten Entwicklungen sicherlich noch genauer auf die Finger geschaut.

Am meisten zu verlieren hat jedoch Dölf Früh selber. Mit seinen Drohgebärden um den Verkauf seines Aktienpakets wollte er sich ein letztes Mal des Rückhalts in der Öffentlichkeit vergewissern – mit bescheidenem Erfolg. Die Stimmen, die fordern, dass Dölf Früh sein Versprechen einlöst und den Klub wieder «an die Region» übergibt, mehren sich.

Frühs Denkmal, das er sich ab 2010 selber erbaute, leidet stark unter den jüngsten Entwicklungen. Wenn Dölf Früh die Gegenwart mit der Situation um 2010 vergleicht, sieht er zwar Parallelen, ist sich seiner eigenen Position aber keineswegs vollumfänglich bewusst.

Was der FC St.Gallen nun braucht, ist ein Neuanfang. Mit starken Persönlichkeiten, die nicht nur das Aktienpaket gleichmässig schultern, sondern auch den internen Machtspielchen Grenzen setzen.

Nein, der FCSG soll nicht zurück ins Jahr 2010. Aber wenn er könnte, würde er wohl noch einmal ins Jahr 2013 zurück. Er würde nach Swansea und Valencia reisen, er würde die Europacup-Abende geniessen und sich seiner eigenen Zerbrechlichkeit bewusst sein. Er wäre sportlich wohl nicht wesentlich erfolgreicher und doch bliebe er seinen Wurzeln treu. Noch ist es dafür nicht zu spät.

Kommentar von Sportjournalist und TVO-Moderator Dominic Ledergerber

veröffentlicht: 12. September 2017 17:20
aktualisiert: 12. September 2017 19:15

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