Die Grünen ohne Klimabewegung: Droht eine Wahlschlappe?
Auf den Tag genau vor vier Jahren schwänzten hunderte Luzerner Schülerinnen und Schüler und gingen auf die Strassen, um laut fürs Klima zu demonstrieren. Die Bewegung Klimastreik Zentralschweiz, die daraus entstand, machte in den Folgejahren immer wieder mit Aktionen auf sich und die Klimaerwärmung aufmerksam, so beispielsweise mit einer Velodemo durch die Stadt Luzern im September 2020.
Seit ein paar Monaten ist es aber ruhig geworden. Besucht man die Webseite der Klimabewegung, findet man unter «Aktuelles» als neusten Beitrag eine Streikaktion vom letzten September. Will man die treibenden Kräfte der einst lauten Bewegung kontaktieren, so bleibt es stumm. Tagelang keine Reaktion und keine Antwort auf unsere Medienanfrage, weder per E-Mail noch über Social Media. Ist die Klimabewegung in Luzern tot?
Tot, halbtot oder Stillstand?
«Die Klimabewegung ist in der Zentralschweiz mittlerweile praktisch tot», bestätigt ein Klimaaktivist, der anonym bleiben will, gegenüber der Luzerner Zeitung Anfang Woche. Umso überraschter sind wir, als sich Klimastreik Zentralschweiz nach drei Tagen Wartezeit doch noch bei uns meldet. Also doch nur so was wie halbtot? Oder einfach «bizli» im Stillstand?
Das grosse Warum
Noch treibender hinsichtlich der verstummten Klimabewegung ist die Frage nach dem Warum: Eines der wärmsten Jahre ging kürzlich mit einem der wärmsten Silvester seit jeher zu Ende. Neben den künstlich beschneiten Skipisten blühen Schneeglöckchen. Die Klimaerwärmung ist unübersehbar, eine Steilvorlage für die Klimaaktivisten. Könnte man meinen. Doch es bleibt ruhig – auf der Strasse, aber auch in unserem Posteingang. Keine Interviewzusage.
Darum
In der Zwischenzeit fragen wir beim Politologen Tobias Arnold von Interface Politikstudien nach möglichen Gründen. «Die letzten Jahre waren von der Pandemie geprägt, das Thema Klima ist dadurch eher in den Hintergrund gerückt. Hinzu kommt die kalte Jahreszeit - zurzeit ist es automatisch schwieriger, Leute auf die Strasse zu bringen.»
Ein weiterer Grund könnte laut dem Experten sein, dass sich eine Art Ernüchterung breitmache: «Zu Beginn war bei den Jungen viel Elan zu spüren, vielleicht hat man aber gemerkt, dass man in der Schweiz innerhalb kurzer Zeit nicht so viel bewegen kann wie gedacht», so Arnold.
Überraschend bekommen wir im Verlaufe des Tages doch noch eine Nachricht von Klimastreik Zentralschweiz. Dann geht es Schlag auf Schlag und wir treffen uns mit Noah von Matt, Mitglied der Bewegung.
Er verneint laut und deutlich: «Die Klimabewegung ist nicht tot. Zurzeit befinden wir uns einfach in einer Art Winterpause. Wir organisieren uns neu. Wir müssen schauen, wie die neuen Krisen mit der Klimakrise zusammenhängen und wie man diese angehen kann.» Ausserdem seien sie alle berufstätig oder im Studium, für Aktivismus habe man nicht immer gleich viel Zeit.
Von Klimastreik Zentralschweiz ist zurzeit nicht viel zu hören. Während der Pandemie war das anders:
Quelle: tele1
Konsequenz Wahlschlappe?
Nebst dem Warum stellt sich im Hinblick auf die Wahlen in Luzern im kommenden April die Frage, wie sich die verstummte Klimabewegung auf die Wahlchancen der Grünen auswirken wird. Die letzten Wahlen 2019 waren geprägt von einer grünen Welle, nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen Klimastreiks.
Bedeuten die ausbleibenden Klimastreiks in Luzern nun eine Wahlschlappe für die Grünen im Kanton Luzern? Der Experte verneint: «Man muss unterscheiden: Die Klimabewegung ist eine Aktion auf der Strasse, diese kann die Leute aufrütteln, ist aber ein anderes politisches Forum als eine Wahl, wo man sich zur Wahl stellt und Wahlkampf betreibt.» Deswegen glaube er nicht an eine Wahlschlappe aufgrund der verstummten Bewegung.
Einen Nachteil sieht er eher im derzeitigen Agenda Setting: Die Klimakrise sei zwar unbestritten ein wichtiges und weiterhin aktuelles Thema. Durch den russichen Angriffskrieg in der Ukraine und der wirtschaftlich schwierigen und unsicheren Situation sei sie allerdings etwas in den Hintergrund gerückt.
Die wiederum sei erfahrungsgemäss wohl eher ein Vorteil für die Bürgerlichen, weil «die Wählerinnen und Wähler, die Wirtschaft eher in den Vordergrund und Themen wie das Klima eher hinten anstellen», so die Einschätzung Arnolds.
Neuer Drive statt Stillstand
Wo die Luzerner Bevölkerung schlussendlich die Prioritäten setzt, wird sich am 2. April bei den kantonalen Wahlen zeigen. Eins stellt Klimastreik Zentralschweiz aber bereits jetzt klar: «Wir treffen uns monatlich und haben schon einiges für dieses Jahr geplant, auch in Luzern.»