So reagiert eine Iranerin auf das Nationalhymnen-Gate
«Ich sehe sie nicht als meine Mannschaft». So kommentierte Ilnaz* die iranische Fussballmannschaft. Sie ist selbst Iranerin und arbeitet seit ein paar Jahren in der Schweiz. ZüriToday hat sie im Vorfeld des WM-Spiels Iran gegen England interviewt. Dabei fand sie klare Worte für das Team: «Sie haben die Fussball-Weltmeisterschaft nur benutzt, um dem Regime Danke zu sagen. Das ist eine Katastrophe.»
Dann aber die Wende: Im WM-Auftaktspiel verweigert die iranische Mannschaft die eigene Nationalhymne mitzusingen. Was bedeutet diese Protestaktion für Iranerinnen und Iraner? Und hat sich die Meinung von Ilnaz geändert. Wir haben nachgefragt.
ZüriToday: Was ist deine Reaktion zum Protest?
Ilnaz: Ich bin froh darüber. Aber es ist nicht genug. Wir verstehen, dass die Mannschaft unter Druck ist und ihnen Konsequenzen drohen. Ihr Protest ist mutig. Die ganze Welt kann ihren Protest sehen. Sie wurden zur Schlagzeile in den Nachrichten, weil sie bei der Hymne nicht mitgesungen haben. Stellen Sie sich vor, was sie noch alles erreichen könnten. Ich bitte sie noch mehr zu tun.
Was sollen sie noch tun?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Spieler leben oder lebten lange Zeit im Iran, sie alle lesen die Nachrichten und wissen, was mit Menschen dort geschieht. Sie könnten jeden Moment nutzen, um ihren Protest zu zeigen. Wenn sie zum Beispiel ein Tor schiessen, könnten sie die Symbole der Revolution zeigen, so wie es andere Sportler getan haben. Oder sie können sich sogar weigern, unter der Flagge dieses Regimes zu spielen. Aber wie gesagt, es ist ihre Entscheidung, wie weit sie gehen wollen.
Wie haben die Menschen im Iran reagiert?
Die Gefühle sind gemischt. Zum einen sind Iraner und Iranerinnen enttäuscht und wütend. Sie fühlen sich nicht genug unterstützt von der Mannschaft. Deshalb sind einige froh, dass das Team 6:2 verloren hat. Andererseits sehen die Menschen im Iran ein, dass die Fussballmannschaft dazu beigetragen hat, dass die iranische Revolution weltweit zum Thema wurde.
Was für Konsequenzen könnte den Spielern nach dem Protest drohen?
Es hängt von den Auswirkungen ihrer Aktion ab. Sie könnten aus der Nationalmannschaft oder jeder anderen Mannschaft, für die sie im Iran spielen, ausgeschlossen werden. Sie könnten verhaftet werden, wie andere Athleten, die an den Protesten teilnehmen. Oder sie könnten gezwungen werden, eine Strafe für ihre Handlungen zu zahlen. Aber niemand weiss es genau.
Hat sich deine Sicht auf das Fussball-Team nach dieser Protestaktion geändert?
Ich bin natürlich froh, dass die Spieler zumindest etwas Sympathie gezeigt haben. Aber in der jetzigen Situation im Iran war es nicht ideal als Mannschaft für das Regime zu spielen. Viele der legendären Fussballspieler aus dem Iran haben die Einladung nach Katar abgelehnt und zogen es vor, bei ihren Leuten zu bleiben. Aber am Ende hoffe ich, dass sie jetzt, wo sie sich entschieden haben, dabei zu sein, dies als Chance nutzen, um die Stimme ihres Volkes zu sein. Die Welt schaut auf sie.
*Name geändert