Daniela Ryf schöpft Energie aus Enttäuschungen

12.10.2017, 05:50 Uhr
· Online seit 12.10.2017, 01:00 Uhr
Selbstzweifel, hartnäckige Rückenbeschwerden und Trainingsrückstand haben Daniela Ryf auch in der laufenden Triathlon-Saison nicht am Siegen gehindert. In der Nacht auf Sonntag kann die 30-jährige Solothurnerin auf Big Island, Hawaii, zum dritten Mal in Folge Ironman-Weltmeisterin werden.
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Ryfs Form ist wegen der zwangsläufig vorgenommenen Reduktion ihres Trainingsvolumens in der ersten Jahreshälfte aktuell vielleicht gar besser, weil sie «unverbrauchter» sein könnte. Diesen Eindruck hinterliess Ryf auf jeden Fall im zweitwichtigsten Wettkampf der Saison vor knapp fünf Wochen. In Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee holte sie sich den 70.3-Ironman-WM-Titel mit einer Gala-Vorstellung zurück.

Daniela Ryf, Ihr Trainer Brett Sutton hatte in einem Blog unlängst verbreitet, dass die Rückenverletzung Sie noch viel länger behindert hätte als öffentlich bekannt, demzufolge bis in den Sommer hinein. Stimmt das, und sind Sie jetzt wirklich beschwerdefrei?

«Ich konnte bis Anfang Juni so gut wie kein normales Training durchführen. Drei Monate habe ich so verloren. Danach war der Aufbau zur Normalform ein Prozess. Ich konnte das Training nur behutsam steigern. Die Wettkämpfe von Anfang Juni in Rapperswil und im Juli an der Challenge Roth konnte ich dann endlich fast beschwerdefrei bestreiten - allerdings mit Trainingsrückstand. Die ersten guten Rennen der Saison hatte ich Ende Juli über die olympische Distanz in Zürich und am Allgäu Triathlon am 20. August. Von da an konnte ich wieder richtig Gas geben.»

Aufgrund der Rückenbeschwerden sind Sie laut Sutton deutlich im Rückstand, was die Langdistanz-Trainings anbelangt.

«Ich habe definitiv weniger längere Distanzen trainiert. Dennoch konnten wir nach der dreimonatigen Pause, während der ich einige Wochen sportlich gar nichts machen konnte, das Trainingsvolumen wieder steigern. Das heisst, ich habe zwar behutsam und langsamer aufbauen müssen, konnte im Höhentraining jedoch Herz und Kreislauf dennoch fordern. Die Fortschritte, die ich in den drei Monaten in St. Moritz gemacht habe, waren signifikant. Auch deshalb fühle ich mich momentan sehr gut. Seit der 70.3-Ironman-WM in Chattanooga konnte ich noch einmal einen beträchtlichen Schritt vorwärts machen, was mich für die Ironman-WM positiv stimmt.»

Wie sah ein «reduziertes» Training aus, wenn Sie nicht Vollgas geben durften?

 

Sind Selbstzweifel wie im letzten Jahr nach dem vierte Rang 70.3-WM und nun im Verlaufe dieses Jahres aufgrund des eingeschränkten Trainings für Sie nicht gar leistungsfördernd?

«Für mich sind Niederlagen motivierend. Der vierte Rang an der 70.3 WM von 2016 motivierte mich sehr, und ich wollte es in diesem Jahr besser machen. Die Verletzung war bestimmt nicht leistungsfördernd. Aber es hat mir wieder gezeigt, wie wertvoll ein gesunder Körper ist, und dass ich jeden Tag schätzen muss, was mein Körper leistet. Zudem glaube ich, dass es mir sogar geholfen hat, nicht zu früh fit zu sein, denn die Saison ist sehr lang. Das erste Rennen in Dubai war bereits Ende Januar, das letzte werde ich am 25. November in Bahrain (Abschluss Triple Crown mit Millionen-Dollar-Jackpot im Siegfall - Red.) bestreiten. Aktuell fühle ich mich in der richtigen Form für Hawaii.»

Sie haben die Wettkampf-Vorbereitung auf die diesjährige Ironman-WM erstmals auf Maui, einer Nachbar-Insel von Big Island, absolviert, wohin sie bereits kurz nach der 70.3-Ironman-WM gereist waren Weshalb?

«Ich wollte nicht so lange in Kona sein, da es für mich der Rennort ist. Wenn ich zehn Tage vorher dort bin, reicht das. Maui war die Ideallösung, da es in der Nähe von Kona ist. Dort herrscht das gleiche Klima, und es ist kein Umweg von Chattanooga. Die letzten zwei Jahre hatten wir unser Vorbereitungscamp im südkoreanischen Jeju gemacht. Dies war in diesem Jahr nicht möglich, da es logistisch nicht clever gewesen wäre. Maui hat zudem einen 50-m-Pool, Kona nur einen 25-Yard-Pool. Dies war ebenfalls ein wichtiger Grund, weshalb ich nach Maui gegangen bin.»

Auf Maui haben Sie auch gewisse Trainings auf der Rolle absolviert.

«Es gibt einige Einheiten pro Woche, die ich immer auf der Rolle mache, da diese auf der Strasse einfach nicht gleich hart sind. Zudem ist es ein extremes Hitzetraining, bei 30 Grad im Schatten ohne Wind auf der Rolle zu schwitzen.»

Brett Sutton kennt die jeweils aktuelle Form und das Rennverhalten der gesamten Konkurrenz von Ihnen für die jeweilige Ironman-WM. Im Vorjahr sagte er beispielsweise exakt voraus, wann die zweifache 70.3-Ironman-Weltmeisterin Melissa Hauschildt im Radfahren nachlässt. Inwiefern spielen solche Einschätzungen eine Rolle, wenn man sowieso sein eigenes Rennen macht?

«Er kann mir sicher immer wichtige Tipps geben, was die Konkurrenz angeht. Aber das Wichtigste ist immer noch, dass wir unseren Plan durchziehen. Wenn ich einen guten Job mache, dann sind die Chancen auf den Sieg grösser. Auf Fehler oder Mängel von anderen zu hoffen, ist nicht gut. Der Fokus ist deshalb immer gleich: Man muss versuchen, sein Bestes abzurufen.»

Welche Änderungen, Verbesserungen oder Anpassungen in Sachen Material, Ernährung oder Ausrüstung planen Sie für den Saisonhöhepunkt in diesem Jahr?

«Ich mache generell wenige Anpassungen, da meine Entscheide und Vorgehensweisen letztes Jahr ziemlich gut geklappt haben. Ich werde aber mit neuen Rädern unterwegs sein.»

Abgesehen von Hawaii wäre oder war die Ironman-Weltbestzeit noch ein grosses Ziel von Ihnen. In Roth scheint diese auf dem neuen Kurs seit diesem Jahr wegen der anspruchsvoller gewordenen Laufstrecke kaum mehr möglich. Ziehen Sie deshalb nun beispielsweise einmal einen Start anderswo wie in Brasilien in Betracht?

«Für mich ist das Erreichen von Rekorden nicht mehr das grosse Ziel. Ich wollte es in Roth versuchen und habe gemerkt, dass neben der Form zu viele Faktoren einen Einfluss haben, die nicht in meinem Einflussbereich liegen. So oder so war an diesem Tag die Form für einen Weltrekord nicht gegeben. Entscheidende Faktoren für einen Rekordversuch können die Startzeiten sein, ein Start mit oder ohne Männer, der Wind, die Temperaturen und anderes. Es gibt Ironman-Triathlons, bei denen ist die Radstrecke nicht genau auf den Meter 180 Kilometer lang oder die Renndistanz nicht ganz genau jene eines klassischen Marathons. Wenn Organisatoren beginnen, die Strecke zu kürzen, damit wir faktisch schneller sind, ist dies der falsche Ansatz. Beim Triathlon geht es nicht darum, wie schnell man ist, sondern, dass man das bestmögliche Rennen unter den existierenden Umständen zeigt. Dies habe ich in Roth erkannt, und daher suche ich mir die Rennen auch nicht danach aus, wo ich am schnellsten sein könnte. Wichtig sind für mich jene, die mich weiterbringen, fordern, herausfordern und eine tolle Atmosphäre bieten.»

veröffentlicht: 12. Oktober 2017 01:00
aktualisiert: 12. Oktober 2017 05:50
Quelle: SDA

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