Der Chef schaut nur ins Schaufenster

01.03.2017, 08:19 Uhr
· Online seit 01.03.2017, 05:45 Uhr
Ein neuer Coiffeur eröffnete am Dienstag in St.Gallen. Es ist aber nicht irgendein Coiffeur, sondern ein Coiffeur, der ausschliesslich von Lernenden betrieben wird. Diese freuen sich auf die Herausforderung, haben aber auch Respekt.
Fabienne Engbers
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Es ist noch etwas unaufgeräumt, die Lehrlinge hängen die letzten Bilder auf und prüfen, ob aus dem Wasserhahn heisses Wasser kommt. Lernende vom Coiffeur Baettig haben am Dienstag ihren eigenen Pop-Up-Coiffeursalon an der Multergasse eröffnet. Auch Lernende aus anderen Betrieben können dort erste Erfahrungen als selbstständige Coiffeure sammeln. Die ersten Kunden haben sich bereits angemeldet.

«Es ist alles noch etwas ungewohnt»

Diyar Rigal hat noch Mühe beim Abnehmen des Telefons: «Es ist noch etwas komisch, dass ich hier Pop-Up Coiffeur und nicht Baettig sagen muss», sagt der Lehrling, nachdem er einen Termin für eine Frau und ihre Tochter in den Terminkalender eingetragen hat.

Auch die Produkte, Glätteisen und der Haarföhn, die der Lehrlingssalon gesponsert bekommen hat, sind für die angehenden Coiffeure noch neu. Man gewöhne sich aber schnell daran, sind sich die Lernenden, die im Sommer ihre Abschlussprüfung machen, einig.

Haarschnitt für zehn Franken

Ein Haarschnitt im Lehr-Coiffeur kostet zehn Franken. Egal ob kurze Haare, lange Haare, Männlein, Weiblein oder Kind. «Die Kosten sind damit natürlich nicht gedeckt, aber es geht darum, dass die Lernenden Erfahrungen sammeln können», sagt Rico Baettig, Initiant des Salons.

Der Pop-Up-Coiffeur ist nur von März bis April offen, danach verschwindet der Laden wieder. Die Räumlichkeiten gehören dem Baumgartner Kaffee, das im Winter an gleicher Stelle bereits ein Pop-Up-Kaffee eröffnete und mittlerweile zugunsten des neuen Coiffeursalons wieder schloss. Im Sommer wird ein «Yves Rocher»-Geschäft langfristig eröffnen.

Nicht alle wollen später selbstständig werden

Im Coiffeursalon lernen die Lehrlinge, Verantwortung zu übernehmen. Den einen liegt das mehr, andere arbeiten lieber als Angestellte in einem Salon. «Ich will gar keinen eigenen Salon, das ist mir zu anstrengend», findet zum Beispiel Clarissa. Nicole ist sich noch nicht sicher, was ihr die Zeit nach der Lehre bringt und ob sie irgendwann einmal ihren eigenen Salon führen möchte. Im Gegensatz dazu träumt Diyar Rigal bereits jetzt von seinem eigenen Laden. «Ich möchte irgendwann mein eigener Chef sein», sagt er.

Diyar ist auch derjenige, der den Laden eingerichtet hat. «Ich habe mit der Hilfe meines Bruders die Spiegel aufgehängt, das Schaufenster eingerichtet, Tische und Stühle an ihren Platz gebracht und alles dekoriert».

«Wir wollen gar nicht vorbeikommen»

Die Initianten des Coiffeursalons für Lernende sind die Brüder Rolf und Rico Baettig, Inhaber des Intercoiffeur Baettig. «Wir wollten den Lehrlingen die Möglichkeit geben, eigene Erfahrungen zu sammeln», sagt Rico Baettig. Dazu gehört auch, dass die Chefs ihre Schützlinge ins kalte Wasser werfen. «Das tut ihnen gut, so merken sie, dass nicht immer alles einfach da ist. Sie mussten zum Beispiel die Wände streichen und Wasser für ihre Kunden einkaufen. Irgendwann merkten sie, dass es keine ‹Heftli› da hat, die sie den Kunden geben können, da mussten sie nochmals los.»

Die Lernenden müssen ihre Kasse selbst abrechnen, Getränke organisieren und schauen, dass alle Geräte funktionieren. Der Chef lässt sie während den zwei Monaten an der langen Leine. «Ich will ihnen ihre Freiheit lassen und komme möglichst nicht im Geschäft vorbei. Wenn sie ein Problem haben, können sie aber jederzeit zu uns kommen», sagt Rico Baettig.
veröffentlicht: 1. März 2017 05:45
aktualisiert: 1. März 2017 08:19

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