Grenzen schliessen ist gefährlich

09.03.2016, 11:57 Uhr
· Online seit 09.03.2016, 10:42 Uhr
Wenn die Grenzen zu sind, wohin gehen dann die Flüchtlinge? Diese Frage hat der «Independent» Eugenio Ambrosi, dem Leiter der europäischen Vertretung der Internationalen Organisation für Migration, gestellt.
René Rödiger
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Wie Ambrosi erklärt, kommen derzeit täglich zwischen 2000 und 2500 Menschen in Griechenland an. Das sind nur noch knapp halb so viele, wie noch zu Beginn des Jahres. «Auch wenn es weniger werden, wird die Zahl jener, die nach Europa kommen, beträchtlich bleiben. Schliesslich sind das Menschen, die um ihr Leben fürchten - die lassen nicht von einem Zaun aufhalten», sagt Ambrosi gegenüber dem "Independent".

Der Leiter der Organisation für Migration erinnert daran, dass die EU die Türkei gebeten hat, die Grenze zu Syrien für Flüchtlinge offen zu lassen. Gleichzeitig kommen abgewiesene Menschen aus der anderen Richtung in die Türkei: «Es besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung zu schnell wächst. Die meisten Flüchtlinge sind Kinder - wie kann diesen eine richtige Bildung geboten werden? Das wird zu physischer Gewalt führen, da die Infrastruktur diesem Wachstum nicht standhält.»

Sicherheitsrisiko steigt

Dass die Grenzen zu Europa ganz geschlossen werden können, glaubt Ambrosi nicht: «Das wäre nicht nur übertrieben, sondern auch nicht sehr effektiv.» Wenn die Möglichkeit für einen «regulären» Grenzübertritt eingeschränkt wird, erhöhe sich automatisch die Zahl jener Menschen, die irregulär in die eurpäischen Länder kämen. «Das führt zu einem Sicherheitsrisiko. Und da spreche ich noch nicht mal von Terrorismus. Wir haben dann eine unbekannte Masse an Menschen im Land, über die wir gar nichts wissen.»

Auch das Risiko für die Flüchtenden selbst steige durch die Schliessung der Balkanroute: «Die Menschenschmuggler geben nicht einfach auf. Sie werden wieder gefährlichere Routen über das Mittelmeer versuchen. Für die Schlepper sind diese Menschen nur eine Ware. Sobald sie das Geld haben, sind ihnen die Flüchtlinge egal.»

Europa gefordert

Dabei sieht Ambrosi gerade auch Europa in der Pflicht, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen: «Alleine Libanon hat derzeit gleich viele Flüchtlinge im Land, wie in Europa über das ganze letzte Jahr angekommen sind - und das bei einer Bevölkerungszahl von nur 4,6 Millionen.»

Man könne nicht einfach hoffen, dass der Rest der Welt das Problem löse. «Europa muss eine stärkere Rolle spielen. Die Schlepper bekämpft man nicht, indem man Boote stoppt, zerstört und Menschen verhaftet. Die Köpfe hinter diesen Schleppern muss man jagen. Und wir müssen die Möglichkeit einer legalen Migration in Betracht ziehen. Das Geschäftsmodel der Schlepper basiert darauf, dass es für Fliehende keinen legalen Weg in ein sicheres Land gibt.»

Leichte Opfer für Terroristen

Ambrosi streitet nicht ab, dass eine härtere Gangart auch einige Menschen davon abhält, sich überhaupt auf den Weg nach Europa zu machen. Nur: «Bei jungen Menschen steigt dadurch auch der Unmut gegenüber Europa. Und sie werden zu leichten Opfer für Menschen, die diesen Unmut ausnutzen wollen.»

Der Leiter der Organisation für Migration meint damit nicht mal in erster Linie die Terrormiliz IS sondern jegliche kriminellen Gruppierungen. Aber: «Schaut man sich den Hintergrund von Terroristen an, merkt man rasch, dass fast alle in ihrer Gesellschaft ausgegrenzt worden sind. Terroristen-Gruppen bieten solchen Menschen einen Ausweg - dieser mag nicht unbedingt gut sein, aber oft ist er der einzige Ausweg für diese Menschen.»

veröffentlicht: 9. März 2016 10:42
aktualisiert: 9. März 2016 11:57
Quelle: rr

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