Müntschi statt Mürggu-Gring

19.08.2016, 07:55 Uhr
· Online seit 19.08.2016, 05:00 Uhr
Christian Stucki ist 31 Jahre alt und damit in einem kritischen Alter für einen bösen Schwinger und Königsanwärter. Dennoch nimmt er sich für das Eidgenössischen Fest am 27./28. August einiges vor.
Angela Mueller
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Es war DIE Szene des letzten Eidgenössischen. Chrigu Stucki umarmte nach dem verlorenen Schlussgang den neuen Schwingerkönig Matthias Sempach innigst und drückte ihm ein Müntschi auf die Stirn. Seither ist auch Stucki ein König: der König der Herzen.

«Es gibt Leute, die sagen, ich hätte mit dieser Geste Sportgeschichte geschrieben», sagt Stucki heute. «Nun, natürlich war das alles nicht geplant. Das entstand aus der Laune beziehungsweise aus der Situation heraus. Klar war ich nach der Niederlage enttäuscht, aber es hätte ja nichts gebracht, deswegen einen ‹Mürggu-Gring zu schreissen›. Und ich war stolz, an diesem Grossanlass den 2. Platz erreicht zu haben.»

Christian Stucki (31) zählte schon vor Burgdorf zu den stärksten Schwingern. 2013 holte er seinen fünften eidgenössischen Kranz. Er gewann das Kilchberger Schwinget 2008. Er setzte sich an sechs Bergfesten durch. Aber Stucki Chrigu war auch einer, den sich die wenigsten als König wünschten. Einer wie Stucki würde dem Schwingsport, der doch immer athletischer wird, einen Bärendienst erweisen, so lautete der allgemeine Tenor.

Nach Burgdorf ist alles anders. «Ich habe Sympathien gewonnen», stellte auch Stucki in den letzten drei Jahren fest. Mittlerweile ist er Sympathieträger und Publikumsliebling - und zwar überall, wo er antritt. Die Leute reduzieren Stucki nicht mehr einfach auf Grösse und Gewicht. «Da spielen auch andere Faktoren wie die Technik und die Aggressivität eine Rolle», sagt er. «Ich bin als Schwinger auch technisch gut, sonst hätte ich keinen Erfolg.» Ist Stucki technisch gut genug, um Schwingerkönig zu werden? Stucki: «Ich will mich nicht selber loben. Aber ich beherrsche meine Schwünge und führe sie sauber und konsequent aus. Dafür trainiere ich ja auch intensiv.»

Im Schwingen gibt es rund 36 Schwünge. Wie viele davon beherrscht Stucki? «Fünf oder sechs.»

Eigentlich spricht also nichts dagegen, dass Stucki Christian drei Jahre nach dem verlorenen Schlussgang in Burgdorf doch noch König wird. Dagegen spricht vielleicht das Alter. Der Seeländer sieht im «Ü30» für sich aber kein Handicap: «Dass es schon sehr lange keiner über 30 geschafft hat, ist wohl einfach Zufall», sagt er. «Man hat schon ein paar ‹Bresten› mehr als mit 20. Aber deshalb steht einer guten Leistung am zweiten Tag doch nichts im Weg. Dazu kommt, dass einem die Erfahrung an einem grossen Fest auch viel hilft.»

Trotz seiner 31 Jahre und trotz einer Oberschenkelverletzung, die ihn im Juli für vier Wochen ausser Gefecht setzte, gehört Christian Stucki am Eidgenössischen zu den Topfavoriten. In der Jahreswertung der Schwinger nimmt der Seeländer derzeit zwar nur den 15. Platz ein. Aber auch die anderen ganz bösen Berner Favoriten, die Könige Matthias Sempach (2013) und Kilian Wenger (2010), blicken auf schwierige Saisons zurück.

Für Stucki wird am Eidgenössischen Fest in Estavayer nur der Sieg zählen. Er war nun so oft so nahe dran, dass ihn ein sechster eidgenössischer Kranz nicht mehr übermässig befriedigen kann. «Es ist meine sechste Teilnahme. Natürlich hatte ich diese Saison mit Problemen zu kämpfen. Aber die letzten drei Eidgenössischen machten mir auch Mumm.»

Nach der Oberschenkelverletzung bestritt Stucki vor dem Fest in Estavayer-le-Lac bloss ein Fest. In Oberwil BL stürmte er bei der Hauptprobe zwei Wochen vor dem Eidgenössischen mit sechs Blitzsiegen zum Festsieg. Roger Erb, den Sieger des Baselländischen Kantonalfests, bodigte er zweimal (1. Gang und Schlussgang) mit einem der ersten Züge. Obwohl es noch «da und dort zwickte», obwohl Stucki mit Schmerzmitteln antrat, obwohl er für den Saisonhöhepunkt sogar in Erwägung zieht, sich fitzuspritzen, war der Berner mit seinem letzten Test zufrieden: «Ich habe gesehen, dass auch nach der Pause die Schwünge noch sitzen. Alles funktioniert noch so wie vorher.»

Und was erachtet Stucki für sich am Eidgenössischen als möglich? «Wie sagen wir Schwinger: Abgerechnet wird erst am Ende eines Festes. Das wird in Estavayer nicht anders sein.»

veröffentlicht: 19. August 2016 05:00
aktualisiert: 19. August 2016 07:55
Quelle: SDA

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